Wallfahrt nach Heiligenleithen am 5. Oktober 2019
In nicht ganz ungetrübter Stimmung füllten wir den Bus um dreiviertel neun, um unsere Wallfahrt nach Heiligenleithen bei Pettenbach zu beginnen. "Nicht ganz ungetrübt" aus zwei Gründen: Zum einen war unsere liebe Leiterin Monika nicht unter uns, zum anderen wurde uns für den Tag der Wallfahrt Regen vorausgesagt - die Sonne ließ uns im Stich. Sie schien uns dafür in spiritueller Weise umso heller, wovon in diesen Zeilen die Rede sein wird.
Pünktlich um dreiviertel zehn erreichten wir die Pfarrkirche Heiligenleithen, wo wir sofort mit dem Feiern der heiligen Messe begannen. Der Gottesdienst, in bewährter Weise von unserem Blindenseelsorger Herrn Franz Lindorfer zelebriert, stand ganz im Zeichen des Heiligen Leonhard, dem die Kirche geweiht ist. Über das Leben des Heiligen wissen wir nicht viel: Leonhard von Limoges, auch Leonhard von Noblat genannt, war ein fränkischer Adelssohn, der im 6. Jahrhundert lebte und am Hofe der Merowinger erzogen wurde, später jedoch als Einsiedler lebte. Bekannt ist er zum einen als Schutzpatron für das Vieh, besonders für die Pferde, zum anderen als Patron der Gefangenen, besonders derer, die zu Unrecht gefangen sind. Dabei bedeutet, wie Herr Franz ausführte, Gefangenschaft nicht nur das körperliche eingesperrt sein, sondern auch die geistig-seelische Gefangenschaft, in der wir Menschen uns nur allzu oft befinden und aus der wir endgültig nur durch Gott erlöst werden können. So ist er auch Schutzpatron der Menschen mit Kopfschmerzen sowie mit Geistes- und Geschlechtskrankheiten. Tatsächlich erzählen Legenden, dass durch die Fürsprache des Heiligen die Ketten vieler Gefangener abgefallen sein sollen.
Mit Leonhards Rolle als Schutzpatron für die Pferde steht folgende hübsche Bauernregel in Zusammenhang:
"Nach der vielen Arbeit Schwere
An Leonhardi die Rösser ehre."
In der Lesung, Phil. 3,8-14, ging es um eine Aussage von Paulus, wonach er alles Irdische für gering erachtet, weil die Erkenntnis Christi alles überragt. Er fordert uns auf, nach der Erkenntnis Christi zu streben und die Vollendung in ihm als höchstes Ziel zu verfolgen. Er weiß, dass er dieses Ziel noch nicht erreicht hat, aber er strebt mit allen Kräften danach, ihm nahe zu kommen.
Die Thematik wurde im Evangelium, Mt. 13,44-46, weitergeführt: Das Himmelreich wird verglichen mit einem Schatz, den ein Mann kaufte, und mit einer besonders wertvollen Perle, für die jemand alles in seinem Besitz verkauft, um sie zu erwerben.
Ich hatte es besonders gut in dieser Messe, denn dadurch, dass unser Freund Benedikt Felbauer alle Lieder in virtuoser Weise auf der Orgel begleitete, war ich von der Aufgabe des Gitarre Spielens entbunden und musste die Texte nicht auswendig lernen - das bedeutete, ich konnte, wie jeder andere auch, sie einfach von den durch Josef wie immer perfekt gestalteten Blindenschrift-Ausdrucken ablesen und mich ganz dem Gesang widmen - was natürlich nicht heißt, dass ich nicht gerne in der Zukunft wieder bereit bin, den angesprochenen Dienst zu versehen.
Im Anschluss an den Gottesdienst bot uns der Mesner, Herr Harald, eine unglaublich beeindruckende Präsentation der Pfarrkirche: Das besondere, und faszinierende, an dieser Präsentation bestand darin, dass sich Herr Harald für uns blinde Besucher/innen der Kirche etwas ganz besonderes überlegt hatte: Um uns einen taktilen, und somit für uns anschaulichen, Eindruck von der Kirche zu bieten, nahm er Photos von verschiedenen Ansichten der Kirche auf und schnitt ihre Konturen auf Papier aus, sodass eine tastbare Abbildung der Ansichten entstand. Hierdurch hatten wir die Gelegenheit, einen Eindruck von der Vorderansicht sowie vom Grundriss der Kirche zu gewinnen - es war ganz einfach möglich, den Turm, die beiden gegenüberliegenden Eingänge und das Presbyterium mit Altarraum auszumachen. Ich habe schon eine Vielzahl tastbarer Abbildungen und Modelle der verschiedensten Baulichkeiten unter meinen Fingern gehabt, aber eine so bestechend einfache Idee wie die, die Herr Harald hier umgesetzt hat, war mir völlig neu - großer Respekt!
Ich sollte noch erwähnen, dass Heiligenleithen keine eigene Pfarre ist - es gehört zur Pfarre Pettenbach, und somit ist die Kirche Heiligenleithen als Filialkirche der Pfarrkirche Pettenbach anzusehen.
Vor dem Verlassen der Kirche hatten wir noch Gelegenheit, die wunderschönen eisernen Beschläge an der Kirchentür zu bewundern. Sie beinhalten aussagekräftige Symbole für die Wallfahrer, welche im Mittelalter, wo die wenigsten Menschen lesen und schreiben konnten, ganz dringend notwendig und von weit größerer Bedeutung als heute waren. Konkret handelte es sich um die Symbole "Lilie" und "Eichel", wobei die Lilie für die Reinheit steht, die dem Wallfahrer nach erfolgter Pilgerschaft gegeben ist, während die Eichel die Stärke versinnbildlicht, die dem Pilger durch die Wallfahrt verliehen wird.
Schwer beeindruckt durch diese wirklich außergewöhnliche Präsentation verließen wir die Kirche, um nach gewonnener leiblicher Stärkung einen Besuch im Kriminalmuseum Scharnstein zu absolvieren. Neben der üblichen und aus meiner Sicht eher verstörend/erschreckenden Darbietung diverser Folterinstrumente und entsprechenden Erklärungen hierzu sowie zu dem in früheren Zeiten herrschenden Rechtsverständnis wurden wir mit ein paar überaus interessanten Dokumenten der neueren Kriminalgeschichte bekannt gemacht: So wurde uns der Fall des Massenmörders Jack unterweger, der im Museum dokumentiert ist, erzählt. Des weiteren gab es ein völlig ausgebranntes Auto zu besichtigen, wie es nach dem - leider tödlich ausgegangenen - Autobomben-Anschlag auf einen türkischen Diplomaten in Wien zurückgeblieben ist - ich hatte Hemmungen, das Ding wirklich ordentlich anzufassen - vielleicht aus einer Art Pietät heraus, vielleicht aber auch aus Angst, mir an diversen hervorstehenden rauen oder spitzen Stellen weh zu tun oder noch mit dem einen oder anderen verbliebenen Ruß-Partikel in Kontakt zu kommen.
Was mich indessen sehr wohl aus haptischer Sicht beeindruckt hat, das war ein tastbares Modell des Schiffes Lucona, das von Udo Proksch versenkt worden war - auch dieser Kriminalfall, der in den 80ern die Medien bestimmt hatte, ist hier ausführlich dokumentiert und wurde uns genau geschildert, was ich als eine willkommene Auffrischung meiner Erinnerung an die damalige Berichterstattung betrachtet habe.
Eine Stunde früher als geplant ging es vom Museum über einen kurzen Kaffeebesuch in den Bus zur Rückreise, und das war tatsächlich das einzige Mal, wo wir ein wenig mit dem Regen in Kontakt kamen - sonst blieben wir von ihm weitgehend verschont, womit bewiesen ist, dass auch der Heilige Petrus auf dieser Wallfahrt mit uns war.
Im Bus lernte ich unseren Blindenseelsorger, Herrn Franz, von einer Seite kennen, die mir an ihm neu war: Er gab allerlei überaus unterhaltsame Witze zum besten, die fast alle in irgendeiner Weise mit der Kirche zu tun hatten. So ging die Heimfahrt rasch vonstatten, und eine Wallfahrt der etwas anderen Art ging zu Ende - wir freuen uns, dich, Monika, bei der nächsten Pilgerreise wieder unter uns zu haben.