Ein Sternenkind in unserer Familie
Wie sag ich’s bloß den Kindern?
Isabella ist Mutter von zwei Kindern im Alter von 5 und 9 Jahren. Das dritte Wunschkind war unterwegs. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie die Freude über die neue Schwangerschaft mit ihren Kindern geteilt – auch wenn ihnen bewusst war, dass in den ersten Wochen immer noch „viel passieren“ kann. Die Eltern waren guter Hoffnung und schließlich gehört der Tod zum Leben … für den Fall, wenn mit dem ungeborenen Kind etwas sein sollte. So war die ganze Familie in froher Erwartung.
Völlig unvermutet ist „dieser Fall“, den keiner möchte, wahr geworden. Der kindliche Herzschlag im Mutterleib ist verstummt.
Und jetzt?
Wie wahr: Der Tod gehört zum Leben.
Wir wissen das. Trotzdem ist es immer eine Herausforderung, mit dieser existenziellen Erfahrung des Todes einen Umgang und Weg zu finden.
Stirbt ein Kind noch vor der Geburt, dann ist das fast immer ein trauriges und schmerzliches Ereignis: für die Mutter, den Vater, die Geschwister, den Freundeskreis und auch das Umfeld der Familie. Für manche mehr, für manche weniger. Oft fehlen uns schlichtweg die Worte.
Wie sage ich’s bloß meinen Kindern?
Gewiss ist, dass Kinder, egal welchen Alters, die Trauer ihrer Mama und ihres Papas spüren. Darum ist es wichtig, dass Sie von Anfang an offen mit der Situation umgehen. Sie dürfen auch Ihre Tränen zeigen. So haben Kinder die Möglichkeit, das gegenwärtige ungewohnte Verhalten ihrer Eltern einzuordnen.
Hilfreich ist es, erst einmal selbst ein wenig mit diesem Verlust Umgang zu finden. Es kann sein, dass Sie jetzt mehr für sich sein wollen oder es entlastender ist, wenn Sie sich jemandem anvertrauen. Nehmen Sie sich diese Zeit, bevor Sie mit Ihren Kindern sprechen. Überlegen Sie für sich, welchen Raum Sie Ihrem verstorbenen Kind geben wollen:
- Welche Vorstellung haben Sie selbst und welche ihr Partner bzw. ihre Partnerin?
- Wo ist das tote Baby jetzt und wo ist dessen Seele?
- Gibt es einen Namen für dieses Kind?
- Was möchten Sie auf eventuelle Fragen ihrer lebenden Kinder antworten?
Für Kinder ist es jedenfalls wichtig, dass wir ehrlich zu ihnen sind. Sie vertragen die Wahrheit häufig viel besser als wir Erwachsenen glauben. Oft betrachten Kinder Sterben und Tod sehr viel selbstverständlicher als Teil des Lebens. Es sind wir „Großen“, die glauben, unsere „Kleinen“ vor den dunklen Seiten des Lebens wie Sterben und Tod beschützen zu müssen.
„Das Verständnis von Tod und die damit verbundenen Gefühle
ändern sich mit dem Alter der Kinder.“
Je nach Alter, trauern wir Menschen unterschiedlich – Kinder anders als wir Erwachsenen. Eine Orientierung zu haben, wie sich der Umgang mit Tod bei Kindern je nach Entwicklungsalter unterschiedlich zeigen kann, hilft, mögliche Reaktionen der Kinder besser einordnen zu können.
Kinder von null bis drei Jahren (und auch ältere) erleben die veränderte Verhaltensweise ihrer Eltern. Das kann sehr irritierend und beängstigend sein. Auch ganz kleine Kinder wollen als Mensch wahrgenommen sein und brauchen den Dialog mit den Erwachsenen. Haben Sie den Mut, Ihrem kleinen Kind zu sagen: „Weißt du, ich bin traurig, weil das Geschwisterchen gestorben ist. Trotzdem bin ich für dich da!“ Je jünger Kinder sind, desto näher sind sie noch dem „Himmel“. Ihnen ist die unsichtbare Realität des Menschseins viel vertrauter.
„Im Alter von drei bis fünf Jahren haben Kinder meist noch eine große Unbefangenheit dem Tod gegenüber und geringere Angst. Der Tod ist etwas, was anderen geschieht, der Katze, der Großmutter. „Tot sein“ erschreckt sie nicht. Die Äußerung „Mutti, wenn du tot bist, will ich auch tot sein“, hat nichts mit Todessehnsucht einer Fünfjährigen zu tun, sondern zeigt, dass Trennung schlimmer ist als der abstrakte Tod.
Mit sechs bis sieben Jahren wird der Zusammenhang von Alter, Krankheit und Tod gesehen. „Tot sein“ heißt Fort sein: Trennungsängste können zunehmen. […] Der Tod ist noch nichts Endgültiges. Kinder in dieser Altersgruppe glauben, unabhängig von ihrer religiösen Prägung, an Unsterblichkeit. Im Spiel – Krieg, Erschießen, Beerdigung von Tieren – kommt der Tod immer wieder vor.
Mit acht bis neun Jahren wird das Interesse am Tod sachlicher, nüchterner, man möchte fast von einem naturwissenschaftlichen Interesse sprechen, zum Beispiel an körperlichen Todesmerkmalen: keine Atmung, keine Bewegung, Kälte. Wie sieht ein totes Tier innen aus, was geschieht bei der Verwesung? So kann ein Kind den beerdigten Vogel wieder ausgraben oder es will dem Bauern unbedingt beim Schlachten zuschauen. Es ist hilfreich, wenn Erwachsene dem verständnisvoll, aber nüchtern begegnen und nicht in entsetzte Reaktionen ausbrechen.
Im Alter von zehn bis vierzehn Jahren entwickeln Kinder zunehmend Erwachsenenvorstellungen: Der Tod als etwas Endgültiges, das Wissen um die eigene Sterblichkeit. Schon in der Vorpubertät können Ängste vor Krankheit und Sterben zunehmen. Es scheint, als ob mit dem Erreichen der biologischen Erdenreife, der Möglichkeit neues Leben weiterzugeben, auch die Angst vor dem Verlust dieses Lebens wachse.
Quelle: Inger Herrmann: Mit Kindern über den Tod sprechen. S 10 f *
Lassen Sie sich auf ihre Kinder ein und nehmen Sie wahr, wie sie die Themen des Sterbens, Todes und Verlustes zu ihrem persönlichen Thema machen und damit umgehen: im Erzählen, Malen, Spielen, Erforschen, Gestalten, Fragen, Singen, Beobachten, bei Rollenspielen … Möglicherweise hören Sie: „Mama, das Baby ist jetzt eh im Himmel!“ oder ähnliches.
Kinder brauchen Gespräche, die Erfahrung von Nähe und Wahrhaftigkeit und somit die Erfahrung, dass sie angesichts der großen Fragen nach Tod und Leben nicht allein gelassen sind und jemand für sie da ist.
Je nach Entwicklungsstand und den bisherigen Erfahrungen mit Sterben und Tod kann man Kinder mit unterschiedlichen Ritualen, die zur Familie passen, begleiten. Wenn die Kraft da ist, dann können Sie überlegen, wie Sie gemeinsam mit der aktuellen Situation umgehen wollen:
- Märchen erzählen oder vorlesen
- Bücher anschauen oder lesen
- Bilder malen
- Träume und Fantasiegeschichten erzählen
- gemeinsam ein Bäumchen für das verstorbene Sternenkind pflanzen
- liebevoll eine Erinnerungsschachtel basteln und befüllen
- zusammen eine Gedenkecke im familiären Daheim gestalten (solche Gedenkplätze können und dürfen sich auch verändern)
- miteinander zu einem Gedenkort für Sternenkinder gehen, von denen es bereits zahlreiche gibt
- Möglicherweise ist das Thema anlassbedingt bereits einmal im Kindergarten oder in der Schule aufgegriffen worden und es gibt Erinnerungen und bekannte Rituale
- Naturbeobachtungen mit der Erfahrung, dass das Keimen, Blühen, Reifen, Welken und Absterben zum Leben gehört und sich dieser Kreislauf immer wieder verlässlich aufs Neue wiederholt (säht man Samen aus, dann kommen meist nicht alle Keimlinge zum Blühen)
Erwachsene sind mit so einer Lebenserfahrung auch zur Selbstfürsorge aufgerufen, gut mit sich selbst umzugehen und achtsam für sich selbst zu sorgen. Diese Ressourcen braucht es, damit Kraft da ist und man sich als Mama und Papa aufmerksam den Kindern widmen kann. Immer gibt es die Option, sich jemandem anzuvertrauen und einfach auch Unterstützung unterschiedlichster Art in Anspruch zu nehmen. Man muss diese Situation nicht allein bewältigen, kann sich Hilfe holen, um gemeinsam die Herausforderung des Lebens zu bewältigen:
- Bei Beziehung Leben: Beraterinnen zu dieser Thematik: Claudia Zethofer, Andrea Holzer-Breid, Susanne Bock, Anita Buchberger und weitere
- Krankenhausseelsorgerer*innen Edith Ratzinger und weitere
- Telefonseelsorge – rund um die Uhr
- Zoe – auch anonyme Online-Beratung möglich
- Rainbows – Trauerbegleitung für Kinder in stürmischen Zeiten
Literaturquellen:
- Broschüre: Mit Kindern über Sterben und Tod sprechen von Inge Hermann (verschiedene Aspekte und Lebensereignisse zum Thema Sterben/Tod und Kinder)
- Elternbrief zum Thema: Wie Kinder den Tod verstehen (Elternbriefe Deutschland und Elternbriefe Österreich ist eine Kooperation)
- Bücher für Kinder zum Thema Sterben/Tod/ Trauer im Behelfsdienst der Diözese Linz
- Buch für Eltern: Gute Hoffnung, jähes Ende von Hannah Lohtrop
- Infos für den Umgang mit Kindern bei Tod und Trauer von Rainbows (auch mit Literaturtipps)
Zu guter Letzt: Haben Sie Vertrauen, Mut und Hoffnung, dass ihr Sternenkind wohl behütet ist und der Kreislauf des Lebens uns alle trägt. Alles Gute!
* Wir danken GESUNDHEIT AKTIV für die freundliche Genehmigung diesen Textauszug verwenden zu dürfen!