kunstzeit 34: Annelies Senfter

das Zählen nach innen
Licht und Unendlichkeit sind Begriffe, die sich in allen Religionen als Ausdruck für das Göttliche wiederfinden. Direkt neben dem schmalen Glasfenster nach draußen, das sich aus der Linie des in den Boden eingelassenen Kreuzes weiterzieht, treffen sich durch die eingeschriebenen Zahlen beide Begriffe wieder.
Das Bild des Zählens in die Unendlichkeit – und dabei des Zählens nach innen, also zwischen die Zahlen null und eins hinein – habe ich für mich als eine Möglichkeit gefunden, meine „Sprache“, mich an das Göttliche anzunähern.
Die Arbeit im Raum der Stille ist zum einen ein Erforschen des Begriffs der Unendlichkeit als Vorgang ohne Ende oder Schluss aber möglicherweise mit einem Anfang oder Beginn. Zum anderen stehen null und eins für den binären Code und somit für ein Sprache die neutral ist und nicht wertet oder unterscheidet zwischen Lied oder Kalkulation.
null und eins/2 ist der zweite Teil einer Serie.
Die gesamte Serie ist in insgesamt neun, ganz unterschiedlichen Erscheinungen konzipiert. Von 0,1 0,2 0,3 ... bis 0,9 ausgehend kann man mit diesen Arbeiten in den unendlichen Zahlenraum hineinzählen.
Im Raum der Stille hat dieses Zählen 3 unterschiedliche Richtungen: Das Zählen von oben herunter, die Blickrichtung hinaus vom einzigen Fenster ohne Milchglas und das Zählen in den Zahlenraum hinein.
Obwohl Marmor eher als Material gilt, das Jahrtausende unverändert überdauert, sind die mit Marmorstaub und Wasser aufgebrachten Ziffern und Zeichen im Raum der Stille höchst fragil und könnten einfach abgewischt werden.
Am 20. Oktober fand die Vernissage der Künstlerin im Raum der Stille statt.
Martina Gelsinger (Kunstreferat Diözesankonservatorat) und Gerald Schuster (Hochschulseelsorge KHG-Linz) begleiteten inhaltlich den Abend. Die temporäre Intervention ist noch bis 25. November im Raum der Stille zu besichtigen.
Annelies Senfter, lebt und arbeitet als bildende Künstlerin in Salzburg und Lienz.
In Annelies Senfters Arbeiten verbinden sich verschiedene Bewegungen des Suchens, des Erspürens und Verwebens zu einer lyrischen Einheit. Ihre visuelle Aufmerksamkeit für oft zunächst unscheinbare Zeichen und Spuren im Alltag, für die Zeitlichkeit hinter der Gegenwart, für Geschichte und Erinnerung leiten sich von einem spezifischen fotografischen Denken ab, das grundlegend für viele ihrer Arbeiten ist, auch wenn es sich vordergründig nicht immer um Fotografie, sondern Erweiterungen und Ableitungen des Mediums handelt.
© Hans Pollhammer 2021
Raum der Stille an der Universität – „kunstzeit“
Der interreligiöse Raum der Stille wurde 1968 im Gebäudekomplex des Studentenheimes der Katholischen Hochschulgemeinde als Hauskapelle von Architekt Gottfried Nobl errichtet. Im Zuge eines Wettbewerbes erfolgte in den Jahren 2001/2002 eine Neugestaltung durch Andrea Barth, Andrea Krenn und Peter Kulev, einem Team von Studierenden der Linzer Kunstuniversität, sowie die Umbenennung in einen interreligiösen Raum. Das künstlerische Konzept besticht durch weitgehende Integration der ursprünglichen Bausubstanz ebenso wie durch radikale Klarheit und Konsequenz in materieller sowie formaler Hinsicht. Der Raum bietet Freiraum für vielfältige Formen religiöser Nutzung sowie für temporäre künstlerische Gestaltungen. Mit der Reihe "kunstzeit" wird der Raum in Kooperation mit dem Kunstreferat/Diözesankonservatorat der Diözese Linz einmal pro Semester temporär bespielt. Zu den 31 KünstlerInnen der Reihe zählen unter anderen Josef Bauer, Dorothee Golz, Inga Hehn, Karla Wöss, Alfred Haberpointner, Gerhard Knogler/Ulrike Neumaier, Judith P. Fischer, Josef Linschinger und Sepp Auer.
Annelies Senfter
null und eins/2
2022
temporäre Wandarbeit im Raum der Stille Linz
Marmorstaub, Wasser