„An einer Quelle darf ich mich stärken und sie trägt mich weiter …“
Sr. M: Generaloberin Schwester Michaela Pfeiffer-Vogl, Marienschwestern vom Karmel, Linz
Kem: Kienast Eva-Maria, Haus der Frau
Gesundheit und Spiritualität
Kem: Unser heutiges Gespräch befasst sich mit dem Thema „Frauengesundheit aus ganzheitlicher Sicht“. Bevor wir uns auf den Bereich der Frauengesundheit konzentrieren die Frage, was gehört für Sie zum Thema Gesundheit dazu, was umfasst das aus Ihrer Sicht?
Sr.M: Für mich ist ganz wesentlich, dass Gesundheit ganzheitlich gesehen wird. Gesundheit meint nicht nur, dass mein Leib gesund ist. Wir sprechen viel von unserem Körper. Von der spirituellen Seite betrachtet ist es jedoch viel treffender, vom Leib zu sprechen. Der Leib ist eine Einheit vieler Glieder. Dahinter liegt das biblisches Bild vom heiligen Paulus und demnach kann das Auge nicht zum Fuß sagen: „Ich brauche dich nicht“. Bei einem Seminar zum Thema Spiritualität und Gesundheit hat Dr. Steinmetz gesagt: „Die Leibvergessenheit hat zur Körperversessenheit geführt.“ Oftmals wird diese Ganzheit des Leibes, dieses Zusammenspiel vergessen. Körperversessenheit kann dazu führen, dass nur mehr auf das eigene Äußere geachtet wird. Natürlich ist es schön, wenn der Körper eine schöne Figur hat, aber das ist nicht das Wesentliche. Es trägt nichts zum Gesundsein bei, ganz im Gegenteil. Den Körper kann man manipulieren und alles Mögliche damit machen und übersieht aber dabei diese Einheit.
Kem: Das heißt, Spiritualität ist hier ein ganz wichtiges Thema, das eingebunden werden soll?
Sr.M: Für mich gehört Spiritualität ganz wesentlich zum Thema Gesundheit dazu. Je mehr es gelingt, dass Spiritualität mein ganzes Leben, mein ganzes Sein durchdringt, umso eher finde ich Balance. Und für mich ist Spiritualität, wie das Stundengebet oder Meditation bei uns im Kloster echte Psychohygiene. Hier darf ich abgeben, was mich belastet, im Gebet vor Gott bringen und mich wieder im Vertrauen stärken. Das hat eine Rückwirkung auf mich und hat etwas mit Gesundheit zu tun. Gerade durch die vielen Einflüsse unserer Umgebung wird das immer wichtiger. Rückzug und Besinnung hilft uns Stress zu vermeiden. Wenn ich an das Positive glaube, hilft mir das über viele Dinge hinweg, die mich sonst vielleicht wirklich krankmachen, weil sie so belastend oder bedrückend sind. Und das merkt man selber: wenn es einem nicht gut geht, zwickt es da oder der Magen drückt. Hier sehe ich auch eine wesentliche Aufgabe von uns Marienschwestern: wenn ich im Kleinen Hoffnung und Ermutigung weitertragen kann, dann hat das eine Wirkung nach außen.
Traditionen und Halt
Kem: Bereits seit einigen Jahren nehme ich ein großes Interesse am klösterlichen Leben und den Traditionen wahr. Nehmen sie das aus so wahr und worauf führen sie das zurück?
Sr.M: Das stimmt, wir bekommen viele Anfragen, das Leben im Kloster kennenzulernen. Immer wieder melden sich Frauen, die mit uns mit leben möchten. Ich glaube, diese Frauen spüren: wir brauchen einen Halt und sind auf der Suche danach. Im Rahmen der Fernsehreihe „Ab ins Kloster“ haben uns vier junge Frauen besucht und eine Woche mit uns gelebt. Die Rückmeldungen darauf waren sehr positiv und einige Frauen fragten bei uns an, ob sie bei uns für eine Weile mit leben können. Eine junge Wienerin hat uns geschrieben, dass sie in einer rein virtuellen Welt lebt und es so nicht weitergehen kann. Sie ist auf der Suche nach einer Gesellschaft, die ihr Halt gibt und hat sich auf den Weg zu uns nach Linz gemacht. Ich habe sie dann vom Bahnhof abgeholt und im Auto hat sie zu mir gemeint: „Jetzt habe ich sie auf youtube kennengelernt und darf jetzt neben ihnen sitzen.“ Und das berührt mich bis heute. Ich habe das Gefühl, dass ihr Schuppen von den Augen gefallen sind – das ist Realität, was sie im Fernsehen gesehen hat! Wir sind oft gefragt worden, ob der Fernsehbeitrag echt war und ja, er zeigt unser Leben und Alltag.
Kem: Das heißt, dass eine ist die Sehnsucht nach Halt, was das Leben im Kloster ausstrahlt und vermittelt und das andere ist das alte medizinische Wissen über Kräuter und ähnliches. Hier nehme ich auch mehr Interesse wahr.
Sr.M: Hier ist für mich das Spannende, dass eine Hildegard von Bingen oder der Pfarrer Kneipp, die sich so viel mit natürlichen Mitteln beschäftigt haben, über eine ganz große Intuition, ein großes Gespür dafür verfügt haben. Man spricht ja auch von der sogenannten Signaturlehre. Ein Blatt, das eine Herzform hat, hilft etwa fürs Herz. Über dieses Wissen haben manche Menschen früher intuitiv verfügt. Mittlerweile ist bei vielem die Wirkung wissenschaftlich belegt. Und diese Traditionen leben weiter und haben auch etwas mit mir zu tun, mit meinem Glauben, meinem Vertrauen. Die Menschen werden selber aktiv, um sich Gutes zu tun. Alleine das hat eine positive Rückwirkung auf meinen Leib. Der andere Weg ist zum Doktor zu gehen und zu hoffen, dass er mir das Richtige gibt.
Kem: Das kann man ja gerade in der Betreuung von Kindern wie z.B. mit den verschiedenen Wickeln erleben. Und hier geht es ja oft um die Zeit, die man damit Kindern schenkt.
Sr.M: Das sehe ich genauso – die Zuwendung, die man damit Kindern schenkt stärkt die Abwehrkräfte. Hier vermittelt man auch die Lebenseinstellung, dass man selber aktiv für seine Gesundheit sorgen und darauf schauen kann. Ich glaube, wir leben in einer Gesellschaft, die wieder verstärkt spürt, dass ich selber wesentliches zu meiner Gesundheit beitragen muss und mich nicht nur auf Ärzte oder Krankenkassen verlassen kann.
Frauen und Achtsamkeit
Kem: Gibt es hier aus ihrer Sicht einen Unterschied zwischen Frauen- und Männergesundheit?
Sr.M: Für mich hat die Frau als Wesen etwas Sensibleres, Achtsameres. Das hat für mich schon damit zu tun, dass sie neun Monate Leben in sich bergen darf und Leben weitergeben kann. Viel geschieht dabei ohne ihr Zutun und trotzdem hat sie einen ganz wesentlichen Beitrag. Dieses gegenseitige Herzschlag spüren ist etwas ganz besonderes und auch wenn ich diese Erfahrung selber nicht gemacht habe, kann ich mir vorstellen, dass Frauen dadurch sensibler und achtsamer werden.
Kem: Wonach glauben sie, sehnen sich Frauen im Jahr 2019 besonders? Was brauchen Frauen ihrer Meinung nach, dass sie gut und gestärkt durchs Leben gehen können?
Sr.M: Ich glaube zutiefst, dass die Sinnfrage eine ganz wesentliche Frage ist. Worin sehe ich in meinem Leben den tragenden Sinn? Aus meiner Sicht sind alle Menschen spirituell. Es gibt verschiedene Zugänge zu Spiritualität und hier habe ich einmal den wunderbaren Vergleich gehört: Spiritualität ist so etwas wie Grundwasser – es ist einfach da. Wir wissen aber, dass ich Grundwasser mit Giften verseuchen kann oder aber ich gehe mit dieser Gabe, die uns geschenkt ist, achtsam um. Dieses Grundwasser tritt an einigen Stellen besonders hervor und wird so zur Quelle. Hier finde ich es schön, wenn wir Klöster eine Kraftquelle sind, wo diese Spiritualität spürbar und erlebbar wird. Und ich glaube, genau das suchen viele Frauen – dieses andocken dürfen an einer Quelle. Eine Quelle versiegt nicht, an ihr darf ich mich stärken und sie trägt mich weiter. Und in der Spiritualität ist auch die ganzheitliche Sicht inbegriffen. In der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) geht es genau darum, den Menschen aus ganzheitlicher Sicht zu betrachten. Seine Beziehungen, seine Arbeit, sein Lebensraum oder auch die Umwelt. Es macht einen Unterschied, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land aufgewachsen ist. Das prägt ebenso die Gesundheit und ist zu beachten. Dazu gehört auch die Gottesbeziehung – was gibt mir wirklich Halt, wenn mein Leben zu wanken beginnt? Als die Zelle (im Körper) entdeckt worden ist, dachte man: „Wenn es der Zelle gut geht, geht es dem Menschen gut“ und das war ein Kurzschluss. Durch die Spezialisierung in der Medizin untersucht jeder Mediziner die Beschwerden aus seinem Blickwinkel und man muss zu vielen verschiedenen Ärzten. Die Spezialisierung hat natürlich auch ihre Vorteile und schön wäre es, wenn mich ein Arzt als Ganzes sieht. Die bei uns in den Kurhäusern tätigen Ärzte kommen alle aus der Schulmedizin und sind offen für Integrative Medizin. Mit Naturmitteln kann man viel Lebensqualität schaffen und manches selbst in die Hand nehmen.
Kem: In der Vorbereitung für unser Gespräch habe ich mir die Broschüren der Kurhäuser der Marienschwestern angesehen und folgenden Satz gefunden: „Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt lenken“. Wie können Frauen aus ihrer Sicht unterstützt werden, das wirklich zu schaffen?
Sr.M: Dieser Satz hat eine besondere Geschichte. Wir haben im Jahr 2000 das Leitbild des Ordens entwickelt und uns die Frage gestellt, wie wir die Inhalte auch unsere MitarbeiterInnen vermitteln können. Im Zuge dieses Prozesses ist der Satz: „Mit allen Sinnen im Augenblick aufmerksam da sein“ entstanden. Das hat etwas mit unserer tieferen Spiritualität und unserer kontemplativen Lebenshaltung zu tun. Kontemplation heißt eigentlich „Schauen“ – das, was auf mich zukommt, anschauen, bis es sprechend wird. Wenn ich eine Blume betrachte, lasse ich die Schönheit der Blume auf mich wirken. Wir haben überlegt, wie wir das unseren MitarbeiterInnen vermitteln und für unsere Gäste spürbar machen können. Und hier möchten wir achtsam im Augenblick Dasein. Wenn ein Gast zu uns kommt, soll er spüren, dass die Aufmerksam jetzt ihm/ihr gehört. Wir alle sind gefährdet, die Achtsamkeit zu verlieren und uns ablenken zu lassen. Und ich denke, gerade Frauen können hier einen wesentlichen Beitrag zu dieser Achtsamkeit leisten. Ich begleite einmal im Jahr eine spirituelle Fastengruppe in Bad Mühllacken, die nach der TEM ausgerichtet ist. Wir essen im Schweigen und versuchen, die Suppe achtsam wahr zu nehmen und alle Sinne anzusprechen. Dadurch isst man auch bewusster. Und ich bin überzeugt davon: wenn ich meine Suppe achtsam esse, bin ich auch im Umgang mit meinem Gegenüber, meinem Nächsten achtsamer.
Kem: Sie bieten in den Kurhäusern ja viele Angebote für Frauen an. Wieso glauben sie, dass diese Angebote so gut angekommen werden?
Sr.M: Ich glaube schon, dass Frauen viel gesundheitsbewusster leben und auch bewusster mit Naturmitteln umgehen. Wir haben viel mehr Frauen als Männer als Kurgäste, der Anteil von Frauen liegt bei rund 80%. Wir haben viele Stammgäste, die immer wieder kommen und die Begegnungen hier bei uns schätzen. Auch wer alleine zu uns kommt, wird gut eingebunden, wie z.B. beim gemeinsamen Essen. Dieses findet bei uns zu einer festgelegten Zeit statt, weil uns gerade der Gemeinschaftsaspekt wichtig ist. Viele Menschen leben zu Hause alleine und wir ermöglichen so eine Gemeinschaft. Dafür haben wir uns ganz bewusst entschieden und es spiegelt auch unsere Philosophie wieder.
Ein Wunsch für die Zukunft
Kem: Anlass für das Gespräch ist ein Geburtstag – 50 Jahre Haus der Frau. Gibt es etwas, was Sie dem Haus mit auf den Weg in die Zukunft geben möchten?
Sr.M: Einige meiner Mitschwestern waren schon ein paar Mal bei Veranstaltungen im Haus der Frau und sind immer sehr bewegt nach Hause gekommen. Ich wünsche dem Haus, dass es Frauen eine Hilfe, eine Unterstützung, eine Ermutigung zu einem sinnerfüllten Leben sein kann. Letztlich liegt es an jeder/m selbst und als Menschen brauchen wir immer wieder mal einen Anstoß. Das Angebot ist breit gefächert und es soll viele Frauen erreichen, damit sie selber aktiv werden, es selber in die Hand nehmen und sie entdecken, was ihnen guttut. Wenn es den Frauen gut geht, können sie es auch in die Familie weitertragen und damit auch in der Familie Gutes und Schönes weitergeben.