„Beim Schreiben werden Gedanken geordnet und sortiert“
SK: Sonja Kapaun
Kem: Kienast Eva-Maria, Haus der Frau
Von Gedanken und Wegen
Kem: Ein herzliches Dankeschön, dass du dich für das Interview zur Verfügung stellst und die erste Frage, ist eine persönliche: Wie bist du selber zum Schreiben gekommen?
SK: Das ist eine spannende Frage! Ich habe mit elf Jahren Tagebuch zu schreiben begonnen und mein Tagebuch war und ist mir ein wichtiger Begleiter. Ich habe die meisten Tagebücher aufgehoben und es ist für mich ein Mittel, etwas zu verarbeiten und um gelebtes Leben ein Stück weit festzuhalten. So hat es angefangen und das immer in Verbindung mit dem Lesen. Ich habe sehr viel gelesen, was mit dem Schreiben eine schöne Kombination war und ist.
Kem: Es war für dich also eine besondere Form, deine Erlebnisse aufzuschreiben und zu verarbeiten. Und was ist es, was du an dieser Ausdrucksform besonders schätzt?
SK: Schreiben ist mein Zugang, mein Medium. Die Gedanken werden sortiert und geordnet, bevor sie auf Papier kommen. Natürlich schreibt man auch einmal durcheinander und trotzdem findet ein Ordnungsprozess im Gehirn statt. Wenn man die Gedanken dann auf dem Papier stehen hat, dann hat man es „schwarz auf weiß“ und es ist wirklich so. Insofern kann Schreiben auch etwas Bedrohliches haben. Es gibt auch Zeiten, in denen man (noch) nicht schreiben kann, weil es vielleicht (noch) zu schwer wäre, die Realität anzuschauen.
Kem: Du bietest ja auch selbst Schreibkurse an. Wie war dein Weg dorthin?
SK: Mit Ende 20 habe ich begonnen, selbst Kurse zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich nach Österreich gezogen und war auf der Suche nach Anschluss und gleichgesinnten Personen. Im Zuge meiner Ausbildung als Erwachsenenbildnerin habe ich mich viel mit Biografiearbeit beschäftigt. Hier im Haus der Frau beendete Eva Fischer ihre Arbeit als Leiterin des Schreibkurses und ich habe diese Aufgabe übernommen. Bei der VHS war es ein ähnlicher Weg und ich sage immer: „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße“ (ein Zitat von Martin Walser). Wenn man losgeht und sich für etwas interessiert, dann entsteht der Weg. Und das ist mittlerweile über 15 Jahre her und es ist immer noch eine schöne und spannende Arbeit!
Kem: Bei uns im Haus sind es Kurse ausschließlich für Frauen. Wo liegt für dich der Unterschied, wenn ein Kurs für Männer und Frauen oder nur für Frauen angeboten wird?
SK: In meinen Gruppen erlebe ich keinen eklatanten Unterschied. Die meisten der teilnehmenden Männer sind feinfühlig und bereit, sich zu öffnen. Ich habe aber auch schon Männer erlebt, die gerne im Mittelpunkt stehen, der Hahn im Korb sein wollen und das beeinflusst die Gruppe. Es kommt auch vor, dass die Frauen sich anders verhalten, wenn ein Mann dabei ist. Sich vielleicht nicht mehr so öffnen und nicht mehr so viel erzählen oder anderes erzählen, als wenn nur Frauen in der Gruppe sind. Es kann auch sein, dass gar kein eindeutiger Unterschied festzustellen ist. Es hängt meiner Meinung nach stark von den Personen ab. In Frauengruppen gibt es vielleicht eine andere Qualität – aber keine bessere oder schlechtere.
Vom Schreibraum und Lesungen
Kem: Ich selbst war noch nie Teilnehmerin beim Schreibraum. Wie kann ich mir jetzt so ein Treffen vorstellen?
SK: Es ist jedes Mal ziemlich der gleiche Ablauf. Zu Beginn haben wir eine kurze Schreibeinheit: das kann ein Elfchen sein (ein kurzes Gedicht mit elf Worten), ein Vierzeiler oder zwei Minuten lang assoziativ schreiben. Dabei geht es meistens um die aktuelle Befindlichkeit oder um ein vorgegebenes Thema. Darauf folgt eine Runde mit dem Vorlesen der kurzen Texte und einem Satz zur Befindlichkeit, damit die Gruppe weiß, wie jede/r gerade da ist. Dann gibt es einen Schreibimpuls. Das kann ein Bild sein, ein Gedanke, ein Text, ein Ton – ganz unterschiedliche Impulse, manchmal auch mit einer Vorgabe, z.B. eine vorgestellte Gedichtform zu verwenden, eine Geschichte aus einer bestimmten Perspektive zu schreiben. Oft ist es auch ganz frei, was geschrieben wird. Dann folgt eine Schreibzeit von 20 – 30 Minuten. Danach ist Zeit, die Texte vorzulesen. Diese Abfolge wiederholt sich noch einmal und so geht der Abend ganz schnell vorbei.
Kem: Wenn du jetzt so an deine Teilnehmerinnen denkst – ich bleibe jetzt bei den Frauen – gibt es so etwas wie eine Eigenschaft, die sie alle vereint?
SK: Es sind durchwegs Frauen, die sehr gerne lesen. Und Frauen, die daran interessiert sind, sich selbst besser kennen zu lernen und eine große Offenheit mitbringen.
Kem: Welche Erwartungen nennen Frauen am Beginn eines Schreibkurses? Was möchten sie sich aus dem Kurs mitnehmen?
SK: Einige erzählen, dass sie in der Schule geschrieben haben und daran anknüpfen möchten. Vereinzelt kommen Personen, die lernen möchten, wie man ein Buch oder eine Biografie schreibt – das ist aber eher selten. Vielen geht es um die Freude am Kreativsein, sie wollen Teil einer Gruppe sein und/oder suchen einen Weg, wie man mit dem Schreiben auch ein Stück Selbsterkenntnis gewinnen kann.
Kem: Ich war ja schon einmal bei einer Lesung vom Schreibraum dabei. Ich habe die Frauen, die sich vor das Publikum hinstellen und ihre persönlichen Texte vorlesen, wirklich bewundert. Ist das für die Frauen selbstverständlich?
SK: Bei den Leserunden in der Gruppe kommt es selten vor, dass eine der Frauen ihren Text nicht vorlesen möchte. Bei der Lesung ist es so, dass die Frauen den Text selbst auswählen und somit entscheiden, was sie vorlesen möchten. Die Teilnahme ist immer freiwillig und es passiert kaum, dass eine der Frauen nicht dabei sein möchte. Es ist etwas Schönes, sich mitzuteilen. In den Texten und Geschichten ist ganz viel vom eigenen Leben verpackt, aber durch die literarische Form verfremdet. Und es dreht sich meist um Themen, die uns alle berühren.
Von Geschichten und Entwicklungen
Kem: Gibt es in der Schreibgruppe einen Austausch, eine Art Resonanz über die Texte?
SK: Da die Gruppen meist größer sind, können wir das nicht bei jedem Text machen – da fehlt uns sonst die Zeit zum Schreiben. Aber es gibt durchaus eine kurze, punktuelle Rückmeldung.
Kem: Hast du einen Tipp für jemanden, der sich für das Schreiben interessiert, aber noch nicht weiß, wie er/sie beginnen soll?
SK: Da gibt es den schönen Satz: „Schreiben lernt man nur durch Schreiben.“ Ich glaube wirklich, man muss es einfach tun, viel lesen und auch viel zuhören. Das Vorlesen ist auch sehr wichtig. Erst wenn man einen Text laut liest, hört und spürt man, wo er rund läuft und wo er noch holpert. Man bekommt viele Ideen beim Zuhören – zu einem Impuls entstehen zwölf verschiedene Texte und das ist großartig! Also einfach tun und es ins Leben integrieren.
Kem: Man braucht ja nur Papier und einen Stift.
SK: Genau! Und nicht immer einen so hohen Anspruch an sich selbst haben – gemütlich unter der Messlatte durchgehen. Wir haben oft so hohe Ansprüche an uns selbst: es soll besonders klingen und die Wortwahl muss stimmen. Davon sollte man sich verabschieden. Was nicht heißt, dass man alle Texte unbearbeitet lässt. Nur ist es hinderlich, wenn man schon beim Schreiben den Rotstift im Kopf hat.
Kem: Gibt es nicht gerade im Bereich der Betreuung älterer Menschen einige Projekte, die Menschen dabei unterstützen, ihre Lebensgeschichte zu erzählen?
SK: Die Nachkommen erfahren somit vieles, was damals geschehen ist. Ich habe eine Gruppe von SeniorInnen, die teilweise einiges über 80 Jahre alt sind. Es ist jedes Mal wirklich berührend für mich und eine richtige Zeitreise. Es kommen Geschichten aus der Kriegs- und der Nachkriegszeit und es ist schön, dass sie diese Geschichten aufschreiben können. Die Leserunden dauern zweimal so lange und es ist den älteren Menschen sehr wichtig, ihre Erfahrungen und Erlebnisse weitergeben zu können.
Kem: Die Schreibraumgruppe bei uns im Haus der Frau wird schon lange von dir begleitet und du kennst die Frauen daher schon lange. Hier stelle ich es mir spannend vor, die Entwicklung der Frauen zu begleiten und zu beobachten.
SK: Ja, das ist wirklich sehr schön! Bei allen hat sich das Schreiben positiv entwickelt, sie sind geübter und trauen sich mehr. Aber auch die persönliche Entwicklung mitzubekommen, ist bereichernd: da tut sich einfach Vieles über die Jahre.
Kem: Hast du eine Idee, wieso Schreiben gerade für Frauen eine Ausdrucksform ist?
SK: Ich glaube nicht, dass es nur eine Ausdrucksform für Frauen ist. Männer sind wohl insgesamt eher weniger im „persönlichkeitsbildenden-künstlerischen“ Bereich tätig. Sie machen das vielleicht eher mit einem gewissen Leistungsanspruch und dem Wunsch, zu veröffentlichen oder als Autor bekannt zu werden. Oder sie schreiben für sich und teilen sich nicht so leicht mit ihren persönlichen Themen mit.
Ein Wunsch
Kem: Anlass für das Gespräch ist ja ein Geburtstag – 50 Jahre Haus der Frau. Gibt es etwas, das du dem Haus mit auf den Weg in die Zukunft geben möchtest?
SK: Dran bleiben! Es ist immer noch wichtig, so ein Haus für Frauen zu haben und das wird es auch bleiben. Offenbleiben und jüngere Frauen ansprechen, wie ihr es schon mit euren Angeboten macht. Im Gespräch bleiben – jüngere mit älteren Frauen – ein generationenübergreifender Dialog, um Wichtiges weitergeben zu können und umgekehrt von den jungen Frauen etwas lernen können – ein Geben und Nehmen. Weitermachen und dran bleiben ist der Wunsch!
Kem: Ein herzliches Dankeschön für das Gespräch!