Donnerstag 21. November 2024

Wie entsteht Neues in der Kunst

 

Dr.in Martina Gelsinger

Kunstreferat/Diözesankonservatorat der Diözese Linz

 

Ein Blick auf die Geschichte
Eine völlig neue Seherfahrung hatten jene, die im Jahr 1428 vor einem eben erst
fertiggestellten Fresko in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz knieten. Es war nicht die
bekannte Darstellung der Dreifaltigkeit, des Gnadenstuhls – Christus am Kreuz, die Taube
und Gottvater das Kreuz haltend –, welche die Gläubigen zum Staunen brachte. Es war der
Raum dahinter: ein Tonnengewölbe in Feldern und Rosetten aufgeteilt, das sich verjüngt und
durch die Mauern zu brechen scheint. Der italienische Renaissancemaler Masaccio hat mit
dem Fresko erstmals in der Geschichte der Malerei die Gesetze der Perspektive korrekt
angewandt, indem er die Motive der realen Architektur übernimmt und als neue Dimension
weiterführt. Die Erscheinung der Dreifaltigkeit ereignet sich mitten im „realen“ Kirchenraum.
180 Jahre später geht in Rom, der Hauptstadt des Barocks, erneut ein Staunen durch die
Kirchenbänke, als in der Basilika Sant‘ Agostino in Campo Marzio auf einem Altarbild die
sogenannte Pilgermadonna, von Michelangelo Merisi da Caravaggio präsentiert wird. Das
260 x 150 cm große Ölgemälde weist in seiner diagonalen Bildkomposition eine starke
Dynamik auf. Die Gottesmutter wendet sich mit dem Jesuskind auf ihrem Arm dem
Pilgerpaar zu, das im rechten unteren Bildfeld kniet. Der Blick fällt unmittelbar auf die
schmutzigen Fußsohlen des Mannes, die dem Betrachtenden entgegengestreckt sind. Der
Maler zeigt in der Pilgermadonna jene, die den Schmutz der Straße und die Mühen des
Alltags zur Gottesmutter bringen ohne sie zu verbergen. Caravaggio, dessen Leben keinesfalls
jenem eines frommen Menschen entsprach, hat mit dem Bild einen Skandal ausgelöst und
zugleich als Künstler wesentliche theologische Fragen erkannt und aufgezeigt.

 

Wiederum 200 Jahre später entstand ein Kunstwerk, das in neuer Weise das Verhältnis von
Religion, Natur und Landschaft sichtbar macht: Der Tetschener Altar von Caspar David
Friedrich gilt als Ikone der Kunst der Romantik. Das nahezu quadratische Ölgemälde (115 x
110,5 cm) mit dem Titel „Das Kreuz im Gebirge“ entstand 1807/1808 und befindet sich in den
Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Es ist kein Andachtsbild sondern ein
Landschaftsgemälde, das eine in der Ausschließlichkeit nie dagewesene Sakralisierung von
Natur und Landschaft zeigt. Es galt als anmaßend und war ohne Vorbild, dass ein
Landschaftsgemälde als Altarbild dienen sollte.
Es vergehen weitere 100 Jahre bis der in Frankreich geborene Maler Marcel Duchamp nach
seinem Besuch der Pariser Luftfahrtschau und der dortigen Auseinandersetzung mit
technischen Errungenschaften im Jahr 1912 zu der Feststellung kommt, die Malerei sei zu
Ende. 25-jährig schuf er mit dem „Flaschentrockner“ das erste Ready Made. Als Ready Made
wird im Kontext der Konzeptkunst ein Gebrauchsgegenstand bezeichnet, der vom Künstler in
den Rang eines Kunstwerks erhoben und als solches rezipiert wird. Damit stellt Duchamp
bisher festgesetzte Kriterien in Frage und gibt der Rolle von Künstler und Rezipient eine
werkkonstituierende Bedeutung.
Im Versuch, das Unaussprechliche und Unfassbare sichtbar zu machen, nahm die Kunst in der
öffentlichen Aufarbeitung der Gräuel des 2. Weltkrieges eine zentrale Rolle ein. Das im Jahr
2000 fertiggestellte Holocaust Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread am
Wiener Judenplatz schafft ein in seiner Präsenz starkes skulpturales und dennoch subtiles
Zeichen der Erinnerung an die 65.000 ermordeten österreichischen Juden.
Die Künstlerin führt mit einem Steinquader, als einer nach außen gekehrten Bibliothek mit
verschlossenem Tor, auf subtile Weise die Endgültigkeit des Verlustes der ermordeten
Menschen, ihres Wissens und Gedankenguts vor Augen.


Kirche und zeitgenössische Kunst – Glaube und Kunst thematisieren das Leben

Jedes Kunstwerk zeigt sich als neue Schöpfung in der Verbindung von Geist und Materie. Die
Katholische Kirche war über Jahrhunderte der wichtigste Auftraggeber für Künstler. Durch
das Neue, Schöpferische und Einzigartige war die Kunst ein Partner, der auf der Höhe der
Zeit Themen und Inhalte abseits von Text und Schrift sichtbar und erfahrbar gemacht hat. Der
gewachsene Zustand vieler kirchlicher Gebäude ist Ausdruck für das Erneuerungsbewusstsein
von Kirche, das sich immer auch in der Kunst zeigt.


In der Begleitung von Pfarren und kirchlichen Einrichtungen bei Neugestaltungen und
Projekten mit zeitgenössischer Kunst wird in der Diözese Linz sichtbar, welche zentralen
Impulse hier von zeitgenössischer Kunst ausgehen können. Neue Kunst im Kirchenraum trägt
wesentlich bei, grundlegende Fragen zu stellen und neue Sinnschichten zu erzeugen.

 

Beispiele im Kontext von Kirchenausstattungen sind die Verbindung von Altar und Ambo
durch metaphorische Andeutungen zum Gewicht (Pfarrkirche Garsten Altarraumgestaltung,
Michael Kienzer, 2008) ebenso wie der Tisch des Mahles und der Tisch des Wortes als Band,
das Altar und Ambo verbindet und am Boden weiter zum Hochaltar und zur Kanzel führt
(Kirchenraumgestaltung Heiligenberg, loslösen, bewegen, festhalten, Elisabeth Kramer /
Simon Hipfl, 2013/14). Das Sakrament der Buße wird in einer künstlerischen Gestaltung
durch das Auftrennen der Schrift „Mea Culpa“ auf einem gestrickten Band neu erfahrbar
(Pfarrkirche Neufelden, Seitenkapelle, Iris Christine Aue, 2014) und vertraute Motive der
christlichen Bildwelt erhalten vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen eine neue
Dimension (Pfarrkirche Weyer, Glasfenster von Siegfried Anzinger, 2008).

 

 


Kunst und Religion/Glaube haben in ihren unterschiedlichen Sphären, in denen sie wirken,
vieles gemeinsam: Kunst gilt als Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen – Religion
und Glaube zeigen Antworten auf die Fragen ihrer Zeit auf.
Bildende Kunst stellt in Frage, fordert Auseinandersetzung ein und hat auch die Kraft,
gesellschaftlich etwas zu bewegen. Zeitgenössische Kunst verbleibt nicht im gefälligen
Illustrieren, wie Glaube auch kein zusätzliches, einfach zu konsumierendes Wellnessangebot
im Alltag ist. Kunst legt, wie Religion und Glaube, immer auch den Finger in die Wunden der
Zeit. Wer sich mit Kunst beschäftigt, erkennt eine Empfindsamkeit, die etwas Prophetisches
an sich hat.

 

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