Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen

Und welche psychologischen Mechanismen treiben uns an, mehr zu kaufen, als wir eigentlich brauchen? Welche Auswirkungen hat das auf uns und unsere Umwelt?
Die Entfesselung des Konsums: Digitalisierung und Globalisierung
In den letzten Jahrzehnten haben zwei Phänomene den Konsum in unserer Welt förmlich entfesselt: Digitalisierung und Globalisierung. Vor 1990 waren Grenzen und Entfernungen Hindernisse für Handel – mit der globalen Vernetzung sind diese Barrieren überwunden. Wir kaufen mit Geräten, auf Kanälen und bei Händler:innen, die vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar oder unerreichbar waren.
Unsere Konsumoptionen scheinen grenzenlos, doch unsere Kaufentscheidungen treffen wir nicht rational, sondern unbewusst. Im Gehirn aktiv werden dabei zwei Regionen: das Belohnungszentrum und das Schmerzzentrum, die Insula. Das Belohnungszentrum reagiert auf den Nutzen eines Produkts, während die Insula den wahrgenommenen Schmerz des Preises bewertet – der Kaufprozess führt zu einer Abwägung zwischen Nutzen und Schmerz, wobei der Preis günstiger Produkte oft nur mehr als symbolisch, also im wahrsten Sinne des Wortes „verschmerzbar“ wahrgenommen wird.
Das gute Gefühl, das uns alle beim Kaufen immer wieder befällt, ist mit der Ausschüttung von Dopamin verbunden, einem Botenstoff, der besonders schnell abhängig macht. Kaufen löst ähnliche Prozesse in unserem Gehirn aus wie verliebt sein – oder aber der Konsum von Kokain. Wir neigen dazu, immer öfter Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, um das Abfallen des Dopaminspiegels zu verhindern. Gleichzeitig stärkt die Teilhabe am Konsum unseren Status und Selbstwert, Aspekte, die durch die Nutzung von Social Media noch verstärkt werden: Nirgendwo sonst kann man das, was man gekauft hat, so vielen Menschen so schnell und umfassend präsentieren.
Sollten wir durch ein besseres Verständnis dieser Vorgänge in der Lage sein, bewusstere Kaufentscheidungen treffen und neue Modelle des Konsums zu entwickeln? Jein. Zum einen boomen Konzepte wie Degrowth, zu Deutsch Postwachstum. Sie setzen auf Reduzierung von Produktion und Konsum und betonen Werte wie Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation. Zum anderen bremst uns der so genannte Value-Action-Gap, von dem später noch zu lesen sein wird.
Die Geheimnisse des Konsums: Warum greifen wir zu bestimmten Marken?
Als Verbraucher:innen werden wir täglich mit einer Fülle von Werbebotschaften überflutet. Doch warum werden wir von bestimmten Marken angezogen? Ein klassisches Beispiel für scheinbar irrationale Kaufentscheidungen ist der Wettbewerb zwischen Pepsi Cola und Coca Cola. In Geschmackstests schneidet Pepsi oft deutlich besser ab, dennoch bevorzugen viele Menschen Coca Cola – der Grund dafür liegt häufig in den Emotionen, die wir mit einem Produkt verbinden, wie etwa Lebensfreude oder Nostalgie.
Ein effektives Werkzeug im Marketing sind auch Produktplatzierungen wie die Zusammenarbeit zwischen dem Sonnenbrillenhersteller Ray-Ban und dem Film "Top Gun", die zu einem 40%igen Umsatzplus führte. Ein weiterer Faktor, der das Kaufverhalten beeinflusst, ist die künstliche Verknappung von Produkten – die Evolution hat uns gelehrt, dass das, was morgen vielleicht nicht mehr verfügbar ist, unsere Sehnsucht ganz besonders weckt.
Darüber hinaus werden wir täglich mit subtilen Werbebotschaften konfrontiert, die knapp unterhalb unserer Bewusstseinsschwelle liegen. Diese Botschaften können visuell, akustisch oder sensorisch sein und beeinflussen unsere Kaufentscheidungen, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Der Nachahmungstrieb ist ein weiterer starker Kaufmotivator. Produkte, die von vielen Menschen verwendet werden, werden oft erstrebenswert, weil sie ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln.
Marken nutzen Strategien wie Storytelling, Symbole und Rituale, um eine emotionale Bindung herzustellen. Die Verknüpfung von visuellen, auditiven und haptischen Eindrücken verstärkt diese Bindung.
Insgesamt sind die Beweggründe für den Kauf eines Produkts oft komplex und werden von einer Vielzahl von Assoziationen beeinflusst, die nicht immer bewusst sind. Doch indem wir die verborgenen Mechanismen unseres Konsums verstehen, können wir ein höheres Maß an Kontrolle über unser Verhalten erlangen und bewusstere Kaufentscheidungen treffen.
Fair Fashion und die Folgen des Konsums: Umweltzerstörung und Klimawandel
Menschliche Konsumgewohnheiten haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel. Der globale Konsum von Kleidung hat sich seit 1960 verneunfacht und zwischen 2000 und 2015 verdoppelt. Dieser Anstieg des Konsums geht oft mit einer drastischen Verkürzung der Lebensdauer von Kleidungsstücken einher. Ein T-Shirt für ein paar Euro wird schnell gekauft und landet häufig ungenutzt im Schrank.
Unsere Anteilnahme an den sozialen und ökologischen Folgen unseres Konsums nimmt oft mit räumlicher und kultureller Distanz ab – wir sprechen hier vom Value-Action-Gap. Wir sind uns der negativen Folgen unseres Handelns bewusst, aber dennoch nicht bereit, es zu verändern. Moralische Kaufentscheidungen werden vor allem bei Kleidung selten getroffen, und wenn doch, dann oft aus egoistischen Gründen wie persönlichem Nutzen oder Geschmack.
Der Aufstieg von "Fast Fashion" seit dem Jahr 2000 hat den Konsum von Kleidung massiv angeheizt. Marken bieten bis zu 24 Kollektionen im Jahr an, und Unternehmen wie Zara haben vor der Pandemie im Schnitt eine Filiale pro Tag eröffnet. Doch dieser schnelle Konsum hat seinen Preis: Der Großteil der Kleidung enthält synthetische Fasern aus Rohöl, die biologisch nicht abbaubar sind. Weniger als ein Prozent der produzierten Kleidung kann zu neuen Textilien recycelt werden. Das Waschen dieser Kleidung trägt zur Verschmutzung der Umwelt bei, da jährlich Tonnen von Kunststofffasern und Mikroplastik in Abwässer gelangen.
Vor allem bei Fast Fashion Labels ist die Wertschöpfungskette oft schwer nachvollziehbar, was Transparenz erschwert. Die Arbeitsbedingungen sind oft prekär, und Umweltschutzrichtlinien werden vernachlässigt.
Die Folgen dieser Konsumpraktiken sind verheerend. Riesige Mengen unverkaufter Textilien werden verbrannt oder landen auf Deponien wie der in der chilenischen Atacama-Wüste. Der Anbau von Baumwolle führt zu einem enormen Wasserverbrauch und zur Trockenlegung von Gewässern wie dem Aralsee. In der Textilindustrie arbeiten Millionen von Menschen, vor allem Frauen, unter oft unmenschlichen Bedingungen.
Um diesen negativen Trends entgegenzuwirken, ist ein Umdenken im Konsumverhalten erforderlich. Dies kann durch bewusste Kaufentscheidungen geschehen, bei denen Qualität und Nachhaltigkeit vor Quantität stehen. Die Unterstützung von Fair Fashion Marken und der Kauf von Second-Hand-Kleidung sind weitere Möglichkeiten, um die Auswirkungen des Konsums auf die Umwelt und die schlechten Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zu verringern.
Letztendlich liegt es an uns als Verbraucher:innen, die Macht unseres Konsums zu erkennen und verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen, die eine nachhaltige Zukunft für unseren Planeten und alle Menschen ermöglichen.
Eva Bauernfeind-Schimek