Die Bibel lesen und verstehen
Wenn wir die Bibel wirklich lesen und verstehen wollen, hat das Konsequenzen – keine tragischen, sondern erfreuliche: Denn dann lassen wir uns ein auf die Liebeskommunikation Gottes mit uns Menschen, die uns als Menschen ernst nimmt, als Geschöpfe der Freiheit, die auch Fehler machen (dürfen) – und (trotzdem) geliebt sind. Diese Quintessenz konnten sich über 60 interessierte BesucherInnen des Vortrags von Univ.-Prof. em. Dr. Walter Kirchschläger, der am 27.10. abends an der KU Linz auf Einladung des Bibelwerks Linz gastierte, mit nach Hause nehmen.
Dass das 2. Vatikanische Konzil ein kirchlicher Meilenstein in verschiedenen Bereichen sowie speziell auch im Umgang mit der Bibel war, sollte 50 Jahre später durchgedrungen sein. Kirchschläger nahm die Zuhörenden – darunter einige Studierende der KU Linz – gleich zu Beginn mit auf seinen Streifzug durch das entscheidende biblische Dokument dieses Konzils, die Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum (DV), mit einem Ausschnitt aus DV 2. In einem grundlegenden Absatz betrachtet das Konzil das Hauptgeschehen der Bibel als Gottesprojekt:
- Es hat Gott eine Freude gemacht (placuit Deo) sich selbst zu offenbaren – der Konzilstext versprüht eine (für Lehramttexte) seltene Leichtigkeit.
- Absicht Gottes war es, dass wir Menschen einen Zugang zu Gott haben sollen: „durch Christus – im Heiligen Geist – zum Vater“.
- Gottes Methode dabei ist das Sprechen; Gott spricht – dabei verwies Kirchschläger u.a. auf die Schöpfungserzählung der Genesis („Und Gott sprach …“) sowie auf das bekannte Wort, dass Gottes Wort all das bewirkt, was es will (vgl. Jes 55,11). Gott spricht dabei „die Menschen an wie Freunde“ (DV 2).
- Kommunikation ist keine Einbahnstraße, darum trägt der Mensch die Verantwortung, auf Gottes Wort zu antworten. Gott will den Austausch.
- Das Handlungsmotiv Gottes bei diesem „Gottesprojekt“ ist die Liebe.
Kirchschläger ging danach auf das Literaturprojekt Bibel ein: auf die Tatsache, dass die Bibel aus vielen einzelnen Schriften zusammengesetzt ist, über einen riesigen Zeitraum von ca. 1000 Jahren entstanden ist und als „Festschrift für Gott“ gesehen werden kann. Die Konzilsväter waren sich bewusst, dass das Kooperationsprojekt Bibel kein wortwörtliches Diktat des Heiligen Geistes ist (wie das jahrhundertelang davor und auch heute noch bis in höchste Kirchenkreise falsch gemeint wurde bzw. wird), sondern ein Gottesprojekt mit menschlicher Beteiligung. Interessant, dass in DV dabei der Begriff „Autor“ der Bibel sowohl für Gott als auch für die Menschen (mit ihren Fehlern, Gedächtnislücken, …) verwendet wird. Eine brisante Sache: Gott nimmt sich zurück, Gott wollte die Bibel nicht perfekt.
In zwei Thesen stellte der Referent dar, was das für die Bibellektüre bedeute: Die Gesamtrichtung der Bibel, das gesamte Kommunikationsgeschehen zwischen Gott und Mensch ist in der Auslegung auch von Einzelstellen zu beachten; dabei hilft es zu wissen, dass uns vielfältige „Sprach“formen der Liebe Gottes in der Bibel überliefert sind. Ebenso sollen der Entstehungsweg sowie das jeweilige Umfeld (Kontext) der einzelnen Schriften nicht unbeachtet bleiben.
Drei Grundfragen gab Kirchschläger dem aufmerksamen Publikum abschließend mit auf den Weg. Der/Die Leser/in der Bibel sollte sich immer fragen:
- Was steht hier? Wörtliche Übersetzungen helfen dabei; so merkt man z.B. bei Lk 14,26, dass „Vater und Mutter hassen“ nur eine Übertreibung sein kann. Folglich lässt der Text einen neu nachdenken:
- Was ist damit gemeint? Wer beim ersten Schritt stehenbleibt, bleibt in einer gefährlichen fundamentalistischen Sicht der Bibel stecken. Eine Kritik daran muss, so Kirchschläger, heftig sein – auch wenn es Bischöfe betreffe; gerade wenn durch „Steinbruchexegese“ unvertretbare theologische Schlussfolgerungen gezogen werden, wie auch rund um die Bischofssynode.
- Und schließlich: Was bedeutet dieser Text für uns/für mich? Was bedeutet es z.B. für eine geschiedene Frau, einen wiederverheirateten Mann, wenn Jesus immer wieder für Gescheiterte eintritt?
Walter Kirchschläger plädierte für eine gewisse theologische Weite, denn auch in der (Entstehung der) Bibel war Vereinheitlichung nie ein Anliegen.
Die anregenden Fragen im Anschluss an den Vortrag zeigten auf, welche Fragen Einzelne wie Gruppen beim Lesen der Bibel beschäftigen und, dass manches offen bleiben muss bzw. in einer fruchtbaren Spannung stehen bleibt. Bibellesen ist trotz des Auftrags, es sich nicht leicht zu machen, nicht nur etwas für Fachleute – sondern ein lebenslanger Weg für jede und jeden!
Beim Büchertisch des Bibelwerks Linz konnten sich vor und nach dem Vortrag die Anwesenden Hilfen für die persönliche Bibellektüre mit nach Hause nehmen.
Rainer Haudum
Gesamter Vortrag als Download (.pdf)
Dieses vom Referenten überarbeitete Vortragsmanuskript kann auch im Bibelwerk Linz (0732/7610-3231; bibelwerk@dioezese-linz.at) angefordert werden.