Friedensraum Kalvarienberg
Kalvarienberg Bad Ischl: Theologiegeschichte zum Angreifen
130 Teilnehmer:innen der Jahrestagung 2024 des Internationalen Rats der Christen und Juden (ICCJ) in Salzburg besuchten die diesjährige Europäische Kulturhauptstadt Salzkammergut-Bad Ischl. Ziel war der beschauliche Ischler Kalvarienberg, dessen Tiefenstruktur grundlegende Themen des christlich-jüdischen und des interreligiösen Dialogs berührt.
„Sie sieht aus wie jede katholische Kirche“, sagte ein Teilnehmer: „Warum ist diese Kirche anders als alle anderen Kirchen?“ Elisabeth Höftberger (Post-Doc-Projektmitarbeiterin an der Universität Salzburg) und Markus Himmelbauer (Pfarrseelsorger in Lenzing, OÖ) stellten den Besucher:innen vier Themenbereiche vor, die das seit 2022 arbeitende Projektteam (dazu noch Teresa Kaineder, Ilse Zierler und Ingrid Oberpeilsteiner) als Schattenseiten dieses Ortes identifiziert hatten.
Beim Blick hinter die Idylle am Rande der Stadt entdeckt man,
- dass Kalvarienberge im Salzkammergut in der Gegenreformation errichtet wurden, auch um den evangelischen Glauben zurückzudrängen.
- dass die Wirkungsgeschichte der christlichen Passionserzählungen Quelle für judenfeindliche Stereotype ist, die im Antisemitismus ihre säkulare Fortsetzung gefunden haben.
- dass die Tonfiguren der Szenen an der Fassade und ein Reiter der Kreuzigungsszene die Gegner Jesu als gewalttätige Muslime, Osmanen – „Türken“ – karikieren und eine Bilderwelt schaffen, die in Vorurteilen bis heute wirkmächtig ist.
- dass traditionelle kirchliche Leidensmystik wegen ihrer krank machenden Schlagseite vielfach infrage zu stellen ist.
Voyeuristische Gewaltdarstellung
Der Kalvarienberg hat ein einziges Thema – die Passion Jesu. Und so wird das, was anderswo an einem einzigen Tag im Jahr – am Karfreitag – meditiert und gefeiert wird, hier an jedem Tag in den Vordergrund gerückt. So besitzt die Beschäftigung mit diesen Themen besondere Dringlichkeit. Überlieferte Liedtexte zeugen davon, welche Spiritualität hier gepflegt wurde:
Durch das Blut und jene Schmerzen
– wie‘s Maria hat im Herzen –
von den Sünden uns entbinde.
Ach, du allerhöchstes Gut!
Daran sollte man täglich denken: „Wer dies Liad tuat singen des Tags nur einmal, der wird schon eingehen in den himmlischen Saal“: eine Theologie, die Glauben nur in der grassierenden Epidemie der Sünde kennt. Heute erkennt die kirchliche Verkündigung, dass aus der Gnade der Taufe ein „gutes Leben“ möglich ist, ganz im Sinn des biblischen Gerechten, wie er in der Weisheitsliteratur dargestellt wird.
Die Feinde Jesu
Ein muslimischer Teilnehmer war vom osmanischen Reitersoldaten unter dem Kreuz begeistert: Wenn das Sterben Jesu doch so eine große Heilsbedeutung für Christ:innen hätte, dann sei es doch eine Ehre, dort als Muslim zugegen sein zu dürfen. Er kennt offensichtlich nicht die traditionelle Bildsprache unter dem Kreuz, die uns so vertraut ist.
In der kirchlichen Wirkungsgeschichte der Passionserzählungen wurde aus einem innerjüdischen Konflikt ein Kampf von Christen gegen die „jüdischen Gottesmörder“. Der Ruf der Volksmenge beim Tribunal vor Pontius Pilatus „Sein Blut komm über uns und unsere Kinder“ (Mt 27,25), den Matthäus überliefert, sowie die Verbindung des Apostels Judas mit Geld (Mt 26, 47-49) hatte fatale Folgen in der späteren Abwertung, Unterdrückung und Vernichtung jüdischer Menschen und jüdischer Gemeinden.
Heute reflektiert die Theologie die literarische Tendenz der Passionserzählungen. Der Tod Jesu wird mit der politischen Gegnerschaft seines prophetischen Auftretens gedeutet und der Schwerpunkt kirchlicher Verkündigung liegt auf der Leben stiftenden Kraft Gottes in der Auferweckung Jesu.
Transformation zum „Friedensplatz“
Die Projektgruppe hat Besucher:innen des Kalvarienbergkirchleins befragt, was sie an diesem Ort empfinden. Diese schrieben auf kleine Zettelchen: Frieden, Heimat, Kindheitserinnerungen, Ruhe …. Eine Transformation hat in der Praxis stattgefunden, die Vergangenheit ist in den Köpfen nicht mehr präsent: weil sie vergessen ist oder weil ihre Bilder nicht mehr gedeutet werden können. Trotz der brutalen Passions- und Kreuzigungsszenen fast in Lebensgröße ist dort ein beliebter Rahmen für Taufen und Hochzeiten. Gewaltszenen als beliebiges Dekor?
Bergaufwärts ist eine Arena als „Friedensplatz Kalvarienberg“ gestaltet. Dort finden regelmäßig ökumenische und interreligiöse Begegnungen statt. Der „Friedensraum Kalvarienberg“ will mit dem Kirchlein einen gewalttätigen Knoten der Vergangenheit öffnen und als Band der Freundschaft und Akzeptanz des Anderen neu knüpfen. Es ist ein interdisziplinäres Projekt am Kreuzungspunkt von Geschichte, Theologie, gelebter Spiritualität, Religion, Kunst, Volkskultur und Gesellschaft. Der Kalvarienberg Bad Ischl steht für eine Theologie, von der wir uns heute distanzieren. So wie vergangene Jahrhunderte ihre Markierungen gesetzt haben, so soll auch unsere Zeit Zeichen setzen für unsere Haltung im Geist der Akzeptanz von Vielfalt: Bildende Kunst, Literatur, Musik. Der Kalvarienberg Bad Ischl möge als „Friedensplatz“ und als „Friedensraum“ in geistiger Wachheit weiterhin eine inspirierende Gebets- und Andachtsstätte bleiben.
Literatur
Im Jahr 2023 fand ein Symposium zur interdisziplinären Bestandsaufnahme des Ischler Kalvarienbergs in Geschichte und Gegenwart statt. Einzelne Vorträge daraus sind dokumentiert in Dialog-DuSiach/ Christlich-jüdische Informationen 125, Hrsg. Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Wien, April 2024.
Beiträge von Elisabeth Höftberger (Bedeutung des Kalvarienbergs für die Menschen heute), Wilhelm Remes (Jesuiten und Gegenreformation), Günter Merz (Protestantischer Widerstand gegen die Re-Katholisierung), Oliver Achilles (Tendenz der Passionserzählungen), Markus Himmelbauer (Krankmachende Leidensspiritualität)
RÜCKBLICK TAGUNG 2023 "FRIEDENSRAUM KALVARIENBERG"