Austro Nobelpreis: Wittgensteinpreis an Byzantinistin Claudia Rapp verliehen
Claudia Rapp ist eine international anerkannte Wissenschaftlerin der Sozial- und Kulturgeschichte von Byzanz. Ihre Karriere umspannt drei Jahrzehnte, zwei Kontinente und Anstellungen, auch als Gastprofessorin, in fünf Ländern, zusätzlich zu zahlreichen Fellowships (u.a. Princeton, Jerusalem, Oxford). Daneben wirkt sie als Evaluatorin und in verschiedenen Herausgeberschaften.
Wie östliche und westliche Kulturen miteinander kommunizieren
Rapps Forschungsinteresse zielt auf die gelebte Realität von sozialen und kulturellen Phänomenen und stellt etablierte Erklärungsmuster in Frage. Viele ihrer Publikationen entspringen einer intensiven Beschäftigung mit hagiographischen Lebensbeschreibungen von heiligen Männern und Frauen, die in einzigartiger Weise das alltägliche Leben und die Anliegen und Mentalitäten der Mittel- und Unterschichten fernab von der Reichshauptstadt Konstantinopel beleuchten. Methodisch in der Grundlagenforschung, insbesondere der Handschriftenkunde verankert, widmet sich Rapp auch der Erforschung von kulturellen und
linguistischen Vernetzungen, so z.B. durch die Arbeit mit Palimpsesthandschriften im Katharinenkloster im Sinai, deren ausradierte Schriften in neun Sprachen mithilfe von digitalen Methoden wieder lesbar gemacht werden.
Ihr erstes Buch Holy Bishops in Late Antiquity: the Nature of Christian Leadership in an Age of Transition entwirft ein neues, dreiteiliges Erklärungsmodell, in welchem die ‘asketische Autorität’ der Bischöfe es diesen ermöglicht, sich sowohl als charismatische Figuren zu präsentieren als auch ihre Macht innerhalb der Kirche auszubauen. Rapps Konzept der ‘asketischen Autoriät’ stellt eine Erweiterung von Max Webers Antithese von Charisma und Institution dar und ist inzwischen auch in andere Forschungsgebiete übernommen worden.
Neue Rituale
Ihr demnächst erscheinendes Buch Brother-Making in Late Antiquity and Byzantium. Monks, Laymen and Christian Ritual beschäftigt sich mit einem Ritual, das nur aus Byzanz bekannt ist: die Verbrüderung (Griechisch: adelphopoiesis) zwischen zwei Männern durch die Gebete eines Priesters in der Kirche. Rapp zeigt den Ursprung dieser Gebete in der wenig bekannten monastischen Organisationsform des semi-eremitischen Mönchtums des 4. bis 7. Jahrhunderts auf. In diesen quasi-familiären Kleingruppen bitten häufig zwei Männer gemeinsam ihren geistlichen Vater um einen Segen. Dass dieses Ritual seit dem 9.
Jahrhundert als Strategie der sozialen Vernetzung unter Aristokraten Anwendung fand, zeigt
die inter-kontextuelle Mobilität von Beziehungsmustern, vom Religiösen zum Säkularen.
Rapps Untersuchungen zu diesem und anderen Themen der Kleingruppenbildung zeigen die Handlungsspielräume, die Menschen im Mittelalter beanspruchen konnten, und die Mechanismen der Ritualisierung und Legalisierung, mit denen Kirche und Staat diese zu kontrollieren suchten.
Rapps Forschungsprogramm, das sie seit ihrer Berufung 2011 an der Universität Wien umsetzt, lautet: ‘Mobilität, Mikrostrukturen und persönliche Handlungsspielräume.’ Dabei arbeitet sie mit dem ÖAW-Forscherteam der Abteilung Byzanzforschung zusammen, deren Leitung sie seit 2012 inne hat. Um die Vernetzung der Byzantinistik mit anderen Fächern und
START-/Wittgenstein 2015 auf internationaler Ebene zu fördern, hat sie als halbjährlich stattfindendes Forschungskolloquium die Vienna Dialogues: Conversation and Cooperation ins Leben gerufen.
Forschungsprojekte mit den Mitteln des Preisgeldes
Die Förderung durch den Wittgenstein-Preis wird es ermöglichen, diesen Fragestellungen— sowohl innerhalb von Byzanz als auch im Kontakt mit dem westlichen Europa und dem Nahen und Fernen Osten—in drei Themenbereichen nachzugehen: Mobilität von Menschen und Objekten, Mobilität von Menschen und Ideen, sowie Kulturelle Mobilität und Soziale Praxis. Dabei wird die unerlässliche Grundlagenforschung anhand von Handschriften und anderen Artefakten ergänzt durch Analyse und Interpretation, auch im internationalen
Dialog. Wissenschaftliche Ergebnisse sollen im Rahmen von Colloquia und Konferenzen diskutiert, durch Publikationen verbreitet, und mithilfe des Internet und durch öffentliche Veranstaltungen, auch im schulischen Bereich, einem breiteren Publikum vermittelt werden.
www.fwf.ac.at/de/ , gec