Ölbergwache
Nach der Gründonnerstagsliturgie wird in den Pfarren die ganze Nacht lang Ölbergwache gehalten. Betend gedenken die Gläubigen der Stunden Jesu voller Einsamkeit und Angst im Garten Getsemani, sie wachen mit ihm.
„Darauf kam Jesus mit den Jüngern zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu ihnen: Setzt euch und wartet hier, während ich dort bete. Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!
Und er ging ein Stück weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.
Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Dann ging er zum zweiten Mal weg und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.
Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen.Und er ging wieder von ihnen weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten. Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Die Stunde ist gekommen; jetzt wird der Menschensohn den Sündern ausgeliefert. Steht auf, wir wollen gehen! Seht, der Verräter, der mich ausliefert, ist da.“
(Mt 26,36-56)
Die Angst Jesu vor dem, was kommt, wird in diesem Text beinahe greifbar. Er ringt mit Gott und bittet seinen Vater, ihm das grausame Leid zu ersparen, das ihm bevorsteht – „wenn es möglich ist“. In seiner Angst vor dem bevorstehenden Leid ist Jesus ganz Mensch – er geht nicht souverän und stoisch in das Schwere hinein, das ihn erwartet. Bei Lukas (Lk 22,44) ist zu lesen: „Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.“
Jesus erfährt sich in dieser Situation allein und verlassen. Seine Jünger, die er gebeten hat, mit ihm zu wachen, sind eingeschlafen. Man kann sich vorstellen, wie weh das tut. Jesus steht vor seinem schwersten Gang – und seine Vertrauten schlafen ... Es ist wohl eine Erfahrung auch der Gottverlassenheit, die Jesus hier macht, in dieser Nacht im dunklen, stillen Garten.
Und dennoch: Jesus ist bereit, in das Leid hineinzugehen: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Er stellt den Willen des Vaters vor seinen eigenen. Mit all seiner Angst und Verzweiflung gibt sich Jesus in die Hände des Vaters – im Vertrauen, dass er ihn auffängt im tiefsten Dunkel. Jesus ist keiner, der das Leiden sucht. Aber er sagt Ja zum Unausweichlichen, weil er nur so sein Programm der Liebe durchhalten kann. Eine Liebe, die trotz allem Ja sagt zum Schweren, die trotz allem nicht Böses mit Bösem vergilt, die sich trotz der inneren Einsamkeit an andere verschenkt.
Im Leben jedes Menschen gibt es Ölbergstunden. Stunden tiefer Dunkelheit und Finsternis, die nicht bewältigbar scheinen. Persönliche Tragödien und Schicksalsschläge, die Menschen mehr zumuten, als sie tragen können. Nach dem ersten Schock eine häufige Reaktion: Widerstand. Alles sträubt sich gegen das Unsagbare. Das kann doch nicht mir passieren! Warum, Gott? Wie kannst du das zulassen, wenn du mich liebst? Ein Ringen und Handeln mit Gott: Tu mir das nicht an, ich bitte dich! Alles, aber nicht das! Nicht eine tödliche Krankheit, die mir nur noch wenige Monate zum Leben lässt. Nicht mein Kind, das mit 16 nach einem Unfall im Koma liegt.
Und dann, oft nach langem Hadern und Sich-Wundreiben, ein zaghaftes und erschöpftes Ja zu dem, was Gott da zumutet. Weil in der größten Dunkelheit und im Beinahe-Zugrundegehen geschenkhaft spürbar wird: Gott ist nahe, er lässt mich nicht fallen.
Die Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag lädt dazu ein, mit Jesus zu wachen und zu beten, die eigenen Ölberg-Erfahrungen Gott hinzuhalten, um Kraft zu bitten für die Zumutungen im eigenen Leben und Ja zu sagen im Vertrauen, dass Gott da ist und mitgeht.