Scheitern – eine Frage der Sichtweise
Himmel auf Erden mit Florian Baumgartner (Erstausstrahlung: LifeRadio, 4. März 2018)
Irgendwie doch fast klar, dass die Anfrage, einen Gastkommentar zum Thema Scheitern zu schreiben, an einen Gefängnisseelsorger geht, denn gerade dort hat man doch mit lauter „gescheiterten“ Lebensentwürfen zu tun, dort zeigt sich das Scheitern doch in jedem Gespräch, in jedem Gesicht, in jedem Insassen. Beim Nachdenken darüber stellen sich allerdings die Fragen, wie oft man tatsächlich dieses Scheitern erlebt und mit diesem Thema konfrontiert ist? Wie sehen das die Insassen selbst? Wie gehen sie mit dem Thema um? Ich habe nachgefragt.
Im Gespräch mit Insassen wurde sehr schnell klar, dass Scheitern oft etwas ist, was von außen, von anderen, von der Gesellschaft zugeschrieben wird. Denn was für den einen als gescheiterte Existenz angesehen wird, ist für den anderen einfach ein Teil des eigenen Lebens, aus dem heraus man etwas lernen kann, wo man sich weiterentwickeln kann und soll. Das bringt mich zum Wort Scheitern selbst - welches doch immer nur negativ verstanden wird. Doch ist es das? Ist zu scheitern immer gleich etwas Negatives, etwas Schlimmes? Im Gespräch kamen wir auf viele Dinge, wo es ein Scheitern braucht, um weiterzukommen bzw. ein Scheitern nicht das Ende ist, sondern dazu aufruft, weiterzumachen, es wieder zu probieren … Wie ein Kleinkind, das beim ersten Aufstehversuch scheitert. Wenn das Kind es nicht erneut probiert – wenn wir es alle nicht weiter versucht hätten, dann würde wohl keiner von uns aufrecht gehen können.
Gerade jetzt in der Vorbereitungszeit auf Ostern ist uns auch im Gespräch bewusst geworden, dass eigentlich auch Jesus grandios mit seiner Botschaft gescheitert war – er musste seine Botschaft sogar mit seinem Leben bezahlen! Und doch ist aus diesem Scheitern für uns als ChristInnen etwas Neues, etwas Befreiendes, etwas Lebensspendendes entstanden. Als Seelsorger in einem Gefängnis begleite ich Männer, die an ihrer Entscheidungs-Freiheit gescheitert sind oder sich auch bewusst so entschieden haben. Manche vielleicht aufgrund ihrer eigenen Geschichte, aufgrund gescheiterter Lebensentwürfe oder aus verschiedensten Abhängigkeiten heraus.
Aber ist deswegen gleich ein ganzes Leben gescheitert, ist alles schlecht, was diese Person vorher war und getan hat – und nachher tun wird? Die Zuschreibung, ob, wo und wie eine Person gescheitert ist, ist immer auch ein Spiegel unserer eigenen Vorstellungen und Maßstäbe. Und das trifft nicht nur Menschen, die in einem Gefängnis für ein Scheitern „sitzen“, sondern vor allem auch diejenigen, mit denen wir es jeden Tag zu tun haben. Denen wir dann vielleicht ein Scheitern bei einem Projekt, in einer Beziehung, bei einer Ausbildung, … zuschreiben. Doch heißt diese Zuschreibung, dass es für diese Person selber auch ein Scheitern ist?
Sollten wir hier nicht unsere Sichtweise ändern und dieses Scheitern vielmehr als Möglichkeit zu einem neuen Versuch, zu einem Aufstehen und Weitergehen sehen? Das würde uns als Gesellschaft gut anstehen und würde für jede und jeden von uns auch eine große Freiheit ermöglichen, es immer wieder zu probieren und ganz sicher auch den großen Druck und oftmals die Angst von uns nehmen, selbst zu scheitern.
Der Kommentar von Florian Baumgartner MA, Dipl. Pastoralassistent, Seelsorger in der Justizanstalt Suben und Regionskoordinator der Katholischen Jugend für die Region Innviertel Ost, erschien erstmals in den Oberösterreichischen Nachrichten, OÖNachrichten-Magazin, 3. März 2018.