Den Blick weiten
Beruflich bin ich als Seelsorger in drei sehr unterschiedlichen, jedoch jeweils sehr „kontaktintensiven“ Bereichen tätig. Und in allen drei Bereichen sind diese physischen Kontakte gerade nicht möglich.
Die Firmvorbereitung ist auf unbestimmte Zeit verschoben, der persönliche Kontakt mit meinen Insassen im Gefängnis ist unter den derzeitigen Hygienebedingungen annähernd unmöglich und in der Pfarre steht „die Mühl“. Auf der einen Seite ist es so, wie es ist. Ein kleiner Trost ist, dass es allen ähnlich geht – und es hier auch eine große Solidarität, aber auch viel Geduld und geerdetes Verständnis für die Beschneidung der persönlichen Freiheitsmöglichkeiten gibt. Auf der anderen Seite stresst mich die Situation mit zunehmender Dauer auch ein wenig.
Zu Beginn war noch der Gedanke da: Wenn wir alle „brav sind“ und uns an die Vorgaben halten, dann ist die Situation schnell vorbei, dann können wir dieses Virus „aushungern“.
Und dann die Nachrichten, dass es wohl eine „Durchseuchung“ von 60 bis 70 % oder eine wirksame Impfung benötigt, damit sich das Ganze legt und wir wieder zu etwas wie Normalität zurückkommen können.
Mutmacher sein
Und gerade in diese Zeit kommt die Anfrage, ob ich einen Text als Mutmacher schreiben will. Und ich sage auch noch zu …
Aber ist es nicht genau das, was uns als Menschen in unserem Leben immer wieder beschäftigt? In schwierigen Zeiten einen guten Weg zu suchen und – mit Gottes Hilfe – auch zu finden.
Vieles von dem, was uns „vor der Krise“ wichtig war, ist jetzt in der alten Form gerade nicht möglich – die schönen Begegnungen, die tollen Feste und bestärkenden Gottesdienste, die lachenden Kinder bei der Familienkirche, die Jugendlichen am Firmwochenende oder die persönlichen Gespräche mit Insassen in deren schwierigen Lebenssituationen. Und da fallen sicher jeder und jedem von uns noch viele Dinge ein, die man gerade schmerzlich vermisst, die in der altbewährten Form nicht mehr möglich sind.
Vor kurzem habe ich über die sozialen Medien die Bedeutung des chinesischen Schriftzeichens für Krise übermittelt bekommen. Es besteht aus zwei Teilen: Der eine Teil symbolisiert Gefahr oder Risiko, der andere Chance. Eine Krise ist somit eine gefährliche Chance. Wenn wir die Chancen von Krisen erkennen und nutzen, dann können wir uns weiterentwickeln und wachsen.
Manche beziehen die Corona-Krise gerade auf das Wirken Gottes – und dass dieser uns damit etwas sagen möchte, dass wir doch „gefälligst“ etwas daraus zu lernen hätten. Manche interpretieren es sogar als „Strafe Gottes“. Doch da frage ich mich, welches Gottesbild steckt denn hinter solchen Aussagen, hinter solchen Interpretationen?!
Mein Gott ist nicht so! Mein Gott – und als diesen darf und möchte ich ihn bezeichnen, als diesen habe ich ihn Zeit meines Lebens erlebt und erfahren dürfen – mein Gott also, er ist ein Gott der Liebe, ein Gott der Nähe und des Da-Seins.
Und so begleitet er uns in jeder persönlichen Krisensituation genauso wie in dieser kollektiven Krise, die unsere Generation so noch nie erlebt hat und bewältigen muss.
Und da fällt mir ein Spruch ein, den wir vor vielen Jahren in unserer Ausbildung öfter verwendet haben und der eigentlich genau das trifft: „Probleme sind Chancen in Arbeitskleidung“. Und diese Krise ist doch eindeutig ein Problem.
„Probleme sind Chancen in Arbeitskleidung“ / Bild: Pixabay.
Gedanken der Zuversicht
Der Untertitel der Mutmacher-Seite ist „Gedanken der Zuversicht“. Und hier steckt das Wort Sicht drinnen. Es geht doch immer wieder darum, welche Sicht ich auf die Dinge habe, welchen Blickwinkel ich einnehme, in welchem Licht ich etwas betrachtete.
Ich kann meinen Blick auf das richten, was gerade nicht geht, was derzeit schwierig ist, wo ich selber auch immer wieder an meine persönlichen Grenzen stoße, wo ich ohnmächtig bin. Oder ich richte meinen Blick – ohne die realen Probleme zu beschönigen – auf die positiven Dinge, die Hoffnungszeichen, die heilbringenden Begegnungen, Erfahrungen, Tätigkeiten … die trotz allem oder auch gerade deshalb möglich sind. Also die Momente, in denen ganz viele Menschen ihr „Arbeitsgewand“ anziehen und anpacken. Und ich bin davon überzeugt, dass Gottes Hl. Geist uns dafür stärkt, ermutigt, antreibt und kreativ sein lässt. So wirkt Gott in jeder Krise und nicht durch die Krise!
So möchte ich hier meinen Blick, meine Sicht in Richtung Zuversicht lenken:
Dann richtet sich mein Blick auf die über 200 Personen, denen wir von der Pfarre vier bis fünf Mal pro Woche kurze Impulse und die Sonntagspredigt über WhatsApp und Youtube zukommen lassen – und die in vielen Rückmeldungen die Dankbarkeit über diese Möglichkeit des persönlichen Kontakts und des „Ihr lasst uns nicht alleine in dieser Situation“ zum Ausdruck bringen.
Da richtet sich mein Blick auf die Insassen in der Justizanstalt, denen ich die Bibeltexte des jeweils folgenden Sonntags und ein paar Gedanken dazu in verschiedenen Sprachen zukommen lasse, und wir so in dieser Zeit der räumlichen Distanz zumindest im Wort Gottes verbunden sind. Auch der schriftliche Austausch ist mit manchem von ihnen möglich – wenn das persönliche Gespräch gerade unmöglich ist.
Da richtet sich mein Blick auf die schmerzlich fehlende Feiergemeinschaft der vergangenen Osterfeiertage und öffnet sich im Bewusstsein, dass in ganz vielen Familien und Haushalten gemeinsam mit dem von uns zusammengestellten und von vielen MitarbeiterInnen ausgetragenen Feierheft gefeiert wurde.
Es würde ganze Bücher füllen, wenn jede und jeder von uns nun diesen eigenen Blick auf Dinge erzählen würde, was denn da alles an Gutem, an Neuem, an Zuversichtlichem stattfindet und geschieht.
Und durch all das scheint doch irgendwie das durch, was ich eingangs als so schmerzlich vermisst geglaubt und hier auch formuliert hatte. In der genaueren Betrachtung findet es ja doch statt – vielleicht in einer anderen, neuen, ungewohnten Form.
Aber damit kennen wir uns nachösterliche Christinnen und Christen doch ganz gut aus?!
Florian Baumgartner ist Pastoralassistent in der Pfarrgemeinde Brunnenthal, Seelsorger in der Justizanstalt Suben und Projektkoordinator für die pfarrübergreifende und charismenorientierte Firmvorbereitung in den vier Pfarrgemeinden Schärding, St. Florian, Suben und Brunnenthal.