Wer ist dieser Jesus?
Er lässt sich nicht in Begriffe fassen. Keines der gängigen Bilder und keine der so gern gebrauchten „Schubladen” passen auf ihn. Zu sperrig, zu kantig, zu spannungsvoll ist er. Faszination geht von ihm aus, aber zugleich auch Abstoßendes und Konfliktreiches. Schärfe und Klarheit sind in seinem Denken und Auftreten, ebenso zärtliches Mitleid und Verständnis. Radikale Forderungen kommen aus seinem Mund; zugleich ist er großzügig im Umgang mit Ge- und Verboten. Er spricht vom nahen Gericht und setzt zugleich auf Zeit und Chance.
Gott ist angekommen
Eine Annäherung an Jesus von Nazaret ist alles andere als einfach. Als sicher kann gelten, dass er im Jahr 6 oder 4 vor Christus geboren wurde. Das Neue Testament kennt die Namen seiner Eltern: Josef und Maria. Die Evangelisten Markus und Matthäus wissen auch von Schwestern Jesu und nennen die Namen seiner Brüder: Jakobus, Josef, Simon und Judas (laut Katechismus der katholischen Kirche sind damit nahe Verwandte gemeint). Jesus wuchs in Galiläa auf, in dem kleinen Dorf Nazaret. Er selbst übte – wohl bis zu seinem Auftreten – den Beruf eines Bauhandwerkers aus. Wahrscheinlich war er eine Zeit lang ein Jünger Johannes’ des Täufers. Zwischen 26 und 29 nach Christus begann Jesus dann in der Öffentlichkeit zu wirken. Er sammelte Männer und Frauen um sich und zog – heilend und predigend – vor allem im Gebiet um den See Gennesaret umher. Auch Kinder gehörten zu seiner Gefolgschaft.
Aber damit ist das „Geheimnis” des Nazareners noch nicht angesprochen. Vor und nach Jesus gab es ebenso Männer, die aus ihrem Leben aufbrachen, Anhänger um sich sammelten, lehrten und sogar heilten. Das, was Jesus einzigartig macht, ist seine Überzeugung, dass Gott und seine Herrschaft im Kommen sind. Mehr noch: die Herrschaft Gottes, sein befreiendes Da-Sein, beginnt bereits jetzt konkret, in den Taten und Worten des Jesus von Nazaret Gestalt anzunehmen. Jesus war aus diesem Grund kein Lehrer im herkömmlichen Sinn, der das Volk theoretisch über Gott aufklären wollte. Er teilte in seiner Verkündigung auch keine ewigen Wahrheiten katechismusartig mit, noch stand die Moral an erster Stelle.
Jesus weist vielmehr in allem, was er tut und sagt, auf etwas Dynamisches hin, auf einen Vorgang, der die Situation der Menschen grundlegend verändern kann! Er verkündet ein neues Geschehen und war überzeugt: Wo Gott mit seiner befreienden Liebe, mit seiner Leidenschaft für das Leben, mit seiner Großzügigkeit und „größeren Gerechtigkeit” in den Menschen ankommen kann, da bricht die Herrschaft Gottes an, da beginnt sich das Leben und auch die Welt zu wandeln. Jesus machte also das dynamische, befreiende, herausfordernde, heilende und menschenfreundliche „Ich-bin-da” Gottes hautnah erfahrbar.
Vor allem mit Hilfe von kleinen Dichtungen ließ Jesus seinen Hörerinnen und Hörer die – so überraschend andere – Herrschaft Gottes erahnen, suchen, im eigenen Leben entdecken. Die neue, alles verwandelnde Herrschaft Gottes erfuhren Menschen bei Jesus auch „hautnah”, indem er Gemeinschaft mit jenen suchte, die sonst „ausgeladen”, gemieden oder alleine gelassen waren.
Er öffnet Zugänge
Die Texte aus den Evangelien zeigen, wie sehr durch seine Zuwendung – aber auch Widerrede – ein neues Sehen, ein sensibles Hören, ein tieferes Buchstabieren des Lebens, eine ungekannte Beweglichkeit, ein Ja zu sich und den anderen möglich wurden – und damit untrennbar verbunden ein neuer Zugang zu Gott.
In allem, was der Mann aus Nazaret tat und sagte, begegnete eine Gottesunmittelbarkeit, die neu war. Das zeigt sich besonders deutlich in Jesu „skandalöser” und „anmaßender” Sündenvergebung. Diese war im Judentum nur Gott vorbehalten. Gottfried Bachl drückt die ungewöhnlichen Erfahrungen der Menschen mit Jesus mit einem ungewöhnlichen Wort aus: Wo Jesus war, hat es „ge-gott-et”. Gerade das wurde dem Mann aus Nazaret aber zum tödlichen Verhängnis.
Quelle: Stefan Schlager, Theologische Erwachsenenbildung