Was heißt Glauben?
Glaube bedeutet, den Alltag aus dem Vertrauen zu Gott zu leben. Ich habe selten mit meinem Großvater über den Glauben gesprochen. An seiner Weise zu leben aber habe ich erahnt, was der Satz, „Ich glaube” bedeutet.
Die Wand stürzte ein und begrub ihn unter sich. Es ging so schnell, dass er nicht einmal mehr flüchten konnte. Und so lag er nun da, die Beine abgesperrt, der Oberkörper zugeschüttet, unfähig sich zu bewegen. Und dabei hatte er viel Erfahrung am Bau. Er war ein geschickter Arbeiter.
Auf der Intensivstation dann die Realisierung der Lage: Seine Chance davonzukommen – nicht sehr gut. Nach dem ersten Besuch wurden seiner Frau Brille, Zahnprothese, Schuhe mit nach Hause gegeben. Für sie ein Zeichen der Bedrohlichkeit seiner Lage. Aber er hat es geschafft und erholte sich wieder. Nur seine Beine wollten und konnten nicht mehr so gut. Wieder zu Hause, entwickelte er seine eigene Therapie: In der Musterung des Küchenbodens entdeckte der alte Mann „Anleitungen fürs Vorwärtskommen”. Indem er auf dem Küchenboden Kästchen für Kästchen vorrückte – am Anfang vom Sessel aus und mit Schmerzen – erlangte er ganz langsam einen guten Teil seiner Mobilität wieder zurück.
Glaube und Alltag
Mein Großvater ist längst gestorben, seine Sicht des Lebens – in schwierigen wie auch in schönen Tagen – habe ich aber bis heute nicht vergessen. Seine Zuversicht und sein Humor, seine Fähigkeit, selbst noch dem Düsteren Lustiges abzuringen, bleiben mir mit Sicherheit ein Vorbild. Ich habe mit meinem Großvater – einem Mann mit sehr bescheidener Schulbildung! – nur sehr selten über Glaubensfragen gesprochen. Durch seine Art zu leben, durch seine Weise, Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und das Leben zu gestalten, habe ich aber erahnt, was der Satz „Ich glaube” bedeuten kann.
Glauben und Glaubenlernen ist mit dem Leben verbunden – mit all seinen Herausforderungen und Anforderungen. Je weiter weg ein Glaube vom Alltagsleben ist, desto größer ist die Gefahr, sich und den Glauben zu verengen.
Ich bin gemeint
Das Glaubensbekenntnis beginnt mit den beiden Worten „Ich glaube”. Dabei bringt das Wort „Ich” mich selbst ins Spiel – mich mit meiner Geschichte und meinen Lebenserfahrungen. „Ich glaube” heißt daher zum einen: Ich glaube mit meinen Stärken und meinen Schwächen, mit meinen Hoffnungen und Ängsten. Das „Ich” verweist aber auch darauf, dass nicht jemand anderer für mich glauben soll und kann: Ich habe gute Gründe, warum ich glaube! Ebenso rückt das „Ich” jene Menschen in den Blick, die mir durch ihr Lebensbeispiel das persönliche Ja zum Glauben überhaupt erst möglich und zugänglich gemacht haben.
Sich einlassen
Was aber ist mit dem Wort „glauben” gemeint? Was bedeutet es, wenn ich sage: Ich glaube? Die Bibel umschreibt das „Glauben” gerne mit Beziehungs-Wörtern, wie: trauen, sich bergen, sich fest machen, hoffen. Glauben bedeutet demnach Vertrauen, genauer: ein begründetes Vertrauen! Weil dieser Glaube mein ganzes „Ich” umfasst, ist er Sache des Verstandes, des Gemütes und des Willens. Er schließt mein Denken, Fragen und Zweifeln mit ein. Im biblischen Sinn meint „Glaube” also etwas Dynamisches, nämlich das Sicheinlassen des ganzen Menschen auf Gott – auf jenen Gott, der sich über Jahrtausende verlässlich als der „Ich-bin-da” erwiesen hat – in schwierigen wie in schönen Zeiten.
Quelle: Stefan Schlager, Theologische Erwachsenenbildung