Ich trenne eh meinen Müll!
Einige halten zwar die menschgemachte Erderhitzung und ihre Folgen für eine Übertreibung oder gar für begrüßenswert, das hat jedoch mehr mit gravierenden Missverständnissen zu tun als mit Böswilligkeit. Die zentrale Lebensgrundlage menschlicher Zivilisation derart zu gefährden, wie wir es gerade tun, das hält eigentlich niemand für eine gute Idee.
Die Kluft zwischen Denken und Handeln
Ja, wir befürworten Umweltfreundlichkeit und Klimaschutz, trennen brav unseren Müll, sparen Strom und verursachen nach Möglichkeit keine Ölteppiche. „Ökologisch nachhaltig“ sind unsere Lebensstile deshalb aber noch lange nicht: Flüge, Autofahrten, Fleischkonsum, Aluminiumkapselkaffee, Online-Mode-Shopping inklusive Rückversand und viele andere Entscheidungen belasten unsere persönliche Umwelt- und Klimabilanz. Bei genauerer Betrachtung müssen sich die meisten von uns wahrscheinlich eingestehen: Unsere Konsumentscheidungen stehen nicht im Einklang mit unseren grundsätzlichen umwelt- und klimafreundlichen Einstellungen.
Die psychologische Theorie hat für solche inneren Widersprüche einen Namen: Kognitive Dissonanz. Wenn Einstellungen und Verhalten nicht zueinanderpassen, löst das im Normalfall ein ungutes Gefühl aus, das aufgelöst werden will. Das kann auf drei Arten passieren: Erstens, durch Verhaltensänderung – das ist allerdings mit Aufwand verbunden und wird eher gescheut. Zweitens, durch Änderungen der Einstellungen. Man könnte sich eingestehen, dass man eben nicht besonders klimafreundlich ist – das wäre aber im Widerspruch zum eigenen positiven Selbstbild und passiert deshalb nicht besonders oft. Der dritte Ausweg ist der bequemste: Man findet Rechtfertigungen und Ausreden, wenn es mit dem Klimaschutz bei einem selbst, im eigenen Unternehmen oder im eigenen Land eben nicht klappt. Damit behält man ein positives Selbstbild und vermeidet es, aufwendige Änderungen anzugehen.
Von „ich tue eh schon so viel“ bis zu „in China ist es viel schlimmer“
Das Buffet an Klimaausreden ist reich und verlockend: Das eigentliche Problem sei China, die neuen Technologien würden es schon richten oder man tue ja eh schon genug, sind drei typische Ausreden. Gemeinsam haben sie, dass sie unserer Bequemlichkeit und Veränderungsaversion dienen, das eigene Nichtstun rechtfertigen und das positive Selbstbild verteidigen: Man muss nichts tun, weil die eigentlichen Probleme woanders sind, weil diese rein technologisch gelöst werden können, oder weil man ohnehin schon einen Beitrag leistet.
Einer kritischen Betrachtung halten die meisten Ausreden nicht stand: Die Lebensstile hierzulande sind noch immer klimaschädlicher als die in China, u. a. wegen der massiven Autonutzung und der fleischreichen Ernährung. Mit Technologien alleine lassen sich die Emissionen nicht deutlich genug senken. Sogenanntes „nachhaltiges“ Kerosin ist zum Beispiel nur ein Marketing-Gag. Autos sind zwar durch Elektroantrieb weniger umweltschädlich, aber sind in großer Zahl trotzdem keine nachhaltige Mobilitätsform. Um Wasserstoff ranken sich zwar viele Märchenerzählungen – zum Verbrennen in Autos oder in Heizungen wird aber in den nächsten Jahrzehnten schlicht nicht genügend zur Verfügung stehen und es wäre auch völlig unwirtschaftlich. Dass Recycling und Stromsparen schon genug an Klimafreundlichkeit wäre, ist leider ebenfalls ein (weit verbreiteter) Irrtum. Am Reiz dieser Ausreden ändern diese Fakten nur wenig.
Kollektiv gelebte Strukturen
Klimaschädliche Verhaltensmuster sind in kollektiv gelebte Praktiken eingebettet. Nicht selten gehört die klimaschädliche Flugreise auch für umweltfreundlich eingestellte Menschen zur schwer verzichtbaren Normalität. Normalität ist aber relativ, denn 80% der Menschen auf diesem Planeten haben noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Übermäßiger Fleischkonsum und überdimensionierte Autos, mit den bekannten schädlichen Konsequenzen, haben sich erst in den letzten Jahrzehnten normalisiert, allen umweltfreundlichen Einstellungen zum Trotz. Mit Ausreden wie „ich kaufe nur Fleisch mit Gütesiegel“ oder „das Auto hat gute Luftfilter“ lassen sich diese Dinge praktischerweise gut schönreden.
Wir Menschen wollen uns in unserem Handeln gut fühlen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen kleinen Klimasünden kann hingegen schmerzen. Ob eine solche Auseinandersetzung auch zur Verhaltensänderung führt, hängt letztendlich stark von den Rahmenbedingungen ab: Schließlich ist die klimaschädliche Option häufig die billigere, schnellere, bequemere. Die relativ einfache Lösung aus Sicht von Psycholog:innen lautet: In einer klimafreundlichen Zukunft braucht es Entscheidungssituationen und Strukturen, in denen Klimafreundlichkeit leichtfällt, und das Suchen nach Ausreden schwerer wird. An solchen Strukturen gilt es auf allen Ebenen zu arbeiten.
Falls Sie nun denken: „Das soll doch die Politik machen!“ – dann Gratulation. Sie sind der Kunst der Ausrede schon ein gutes Stück nähergekommen.
Thomas Brudermann ist Autor des humorvollen Sachbuchs „Die Kunst der Ausrede – Warum wir uns lieber selbst täuschen statt klimafreundlich zu leben“ (Oekom Verlag).
Darin veranschaulicht er sachlich und ohne moralischen Zeigefinger, aber mit Humor und Selbstironie, woran Klimaschutz im Alltag scheitert.
Das Buch wurde 2023 mit dem Eunice-Foote-Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet. Brudermann ist als assoziierter Professor an der Universität Graz tätig und Autor- und Co-Autor von über 30 wissenschaftlichen Studien.